

Im linken Bild seht Ihr eine Außenküche unter Wellblech, etwas weiter links davon wäre der Wohnbereich, immerhin mit festen Wänden – ebenfalls unter Wellblech. Das reche Bild zeigt unser Wohnhaus, gebucht bei AirBnB. Unglaublich: Beide Häuser stehen auf dem gleichen Grundstück – und wir haben herausbekommen, wie das funktioniert: Die arme Familie passt auf das Ferienhaus auf und bedient das massive Tor, das dieses Grundstück von der Straße trennt. Dafür wohnt die Familie in der Hütte und kann auch noch das angrenzende Feld zur Eigenversorgung anbauen.
Was für unsere westliche Wahrnehmung unglaublich klingt, ist hier Alltag: Extrem Arm und Reich wohnen beieinander und kommen irgendwie zurecht. Wer in Guatemala wohnt, weiß genau, wo er sein Auto abstellen kann und wo nicht, wo Bewegung zu Fuß möglich ist und wo man das besser unterlässt – oder sich höchstens in Gruppen bewegt. Am vergangenen Sonntag feierten wir Gottesdienst – und das Gemeindehaus liegt in einer nicht so guten Gegend. Trotzdem parkierte unser Gastgeber sein Autos scheinbar achtlos am Straßenrand. Ich wunderte mich darüber, doch als der Gottesdienst vorüber war, und wir auf sein Auto zugingen fragte er mich, ob ich Kleingeld in der Tasche hätte? Ich gab ihm 5 Quetzales (75ct), und er reichte diesen Schein weiter an einen Mann, der in der Ecke stand – unser Gastgeber hatte zuvor abgesprochen, dass dieser Mann auf das Auto achtete, während wir den Gottesdienst besuchten. So läuft das hier.
Was ist der Grund? Warum gibt es diese extreme Armut? Ich habe versucht, in diesen Tagen hier genau hinzusehen und verschiedene Leute zu befragen, um dahinterzublicken. Aus deutscher Sicht wäre die Antwort ganz einfach: Durch ungerechte Verhältnisse und ungerechte Strukturen hat sich die Schere zwischen arm und reich immer weiter geöffnet, und die Benachteiligten kommen nie auf einen grünen Zweig. Dann würde die Kolonialvergangenheit früher und die ausbeuterischen Amis heute noch eine Rolle spielen und fertig wäre die Antwort – es geht also um strukturelle Verhältnisse, wie sie von uns im Norden in dieser oder ähnlicher Form dem ganzen “globalen Süden” unterstellt werden.
Hier erlebe ich live, dass das – mindestens für Guatemala – so einfach nicht stimmt. Wenn Du bereit bist für eine Sicht, die vor Ort entstanden ist – aber mächtig abweicht von unserer Westlichen, dann bist du hier richtig.
Wir beginnen so: Erinnerst du dich noch an die Geschichte vom Fischer aus dem Schulunterricht? Sie stammt aus der Feder von Heinisch Böll, Pazifist, 68er und linker Vordenker. Ich fasse den Sinn kurz zusammen: Der Fischer sitzt tatenlos am Kai und genießt die Sonne, obwohl es noch früh am Vormittag ist. Da kommt der eifrige Geschäftsmann vorbei, rügt ihn für seine Tatenlosigkeit und erzählt ihm, was alles möglich wäre, wenn dieser Fischer seinen Fischereibetrieb etwas eifriger und fleißiger betreiben würde. Er erläutert die Vorteile in den buntesten Farben und kommt am Ende zu dem Ergebnis, dass der Fischer sich dann am Ende seiner Tage entspannt an den Kai setzen könnte, um die Früchte seiner Mühen zu genießen. Der Fischer antwortet: Das tue ich doch jetzt schon. An dieser Stelle endet das Gespräch. Als wir das in der Schule durchgenommen haben, war ich beeindruckt von der bestechenden Logik und habe damals nicht weitergedacht – aber genau hier liegt der Grund für die Armut hier in diesem Land!
Führen wir also die Geschichte weiter: Der Geschäftsmann hätte sagen können – klar, kannst du so machen, aber wenn viele deine Einstellung so übernehmen, wird die Schotterpiste zu deinem Betrieb für immer eine Schotterpiste bleiben. Das Krankenhaus in deiner Stadt wird dann niemals ein Röntgengerät nutzten können und der Arzt, der deinem Kind den Blinddarm operieren könnte, wird in einem anderen Land arbeiten – dort, wo die Menschen anders an die Frage von Broterwerb und Zukunftsinvestition rangehen. Und ob der Lehrer, der deine Kinder kaum sieht aus gutem Willen und Idealismus wirklich bleibt, ist auch fraglich.
Genau das ist das Problem hier. Da man von der Hand in den Mund leben kann, da es niemals Winter wird und niemand ein isoliertes Haus oder eine Heizung braucht, da hier auf kleinster Fläche alles mögliche in Fülle wächst und wirklich niemand verhungern muss, ist es bestechend einfach, den Tag zu genießen und so wenig wie möglich zu tun. Warum soll ich mein Kind aufwändig in die Schule quälen – oder es zur Sicherheit gar noch begleiten, wenn ich doch selbst ohne Lesen, Schreiben und Rechnen durchgekommen bin? Es geht doch auch so!
Besonders deutsche und österreichische Unternehmer entdeckten, dass die Verbindung mit tropischem Klima, vulkanischer Erde und der Höhenlage perfekte Voraussetzungen für Kaffeeanbau sind. Sie haben sehr erfolgreiche Kaffeeplantagen gegründet – und versucht, auch etwas gegen das Elend vor Ort zu tun. Daraus sind – Stand heute – zwei Schulen entstanden: Die deutsche (1901) und nach dem Krieg dann die österreichische (1958) Schule. Zum Teil mit Kindergarten, Vorschule, und dann bis zur Oberstufe. Mit Möglichkeiten des anschließenden Studiums in Deutschland oder Österreich. Beide Schulen sind groß – je 1000 Schüler. Sie leisten einen hervorragenden Beitrag zur Bildung hier. Doch obwohl sie seit mehr als 50 Jahren existieren, blieb es bei einem “Beitrag”. Es entstand kein “Leuchtturmeffekt”, das Bildungssystem des Landes hat sich nicht daran orientiert. Nachahmeffekte haben sich kaum ergeben (Ausnahme: ein paar sogen. Landschulen).
Und so bleibt es dabei: Wer hier bereit ist, in sich selbst zu investieren und dafür in Kauf zu nehmen, heute hart zu arbeiten und zu lernen um morgen ein anderes Leben zu haben, wird ein anderes Leben finden. Evtl. sogar an einer Schule, an der Deutsch unterrichtet wird. Wer dazu nicht bereit ist, wird hier nicht verhungern. Er wird sich dann lebenslang im Billiglohnsegment durchschlagen oder halt kriminell werden, um sein Auskommen zu erlangen. So sieht das hier aus.
Wer jetzt sagt: Das ist ja eine völlig andere Sicht als wir sie in Deutschland vermittelt bekommen, dem sage ich: Komm selbst her, schau dich um – und fälle dein eigenes Urteil!
Mit diesen Gedanken wünsche ich Dir einen schönen Tag – und falls Du Kinder im Schulalter hast: Eine engagierte Zeit mit den Hausaufgaben 🙂
Dein Bernd