“Die Zivilbevölkerung derart in Mitleidenschaft zu nehmen wie das in den letzten Tagen immer mehr der Fall gewesen ist, lässt sich nicht mehr mit einem Kampf gegen des Terrorismus der Hamas begründen.“ (Friedrich Merz auf der Digitalkonferenz re:publica im Mai ’25 in Berlin). Ähnlich der Bundesaußenminister Johann Wadepuhl, der Israel den Bruch des Völkerrechts vorwirft (Juni ’25). Beide benutzen das Wort „Unverhältnismäßigkeit“ zwar nicht, rücken aber maximal dicht heran. Walter Kolbow, Lars Klingbeil (beide SPD) und Robert Habeck sowie Deborah Dührung (Grüne) sind da deutlicher. Linke und BSW sowieso.
Zunächst einmal: Bis zur jetzigen Zeit war die Frage nach verhältnismäßigen oder unverhältnismäßigen Aktionen oder Strategien im Kriegsfall eine Frage für Historiker, die dann im Nachgang eines Krieges oder Konflikts solchen Fragen ringen. Oft Jahrzehnte danach. So z.B. die flächendeckenden Zerstörungen der Alliierten von Dresden, Heilbronn oder Paderborn. Bis heute diskutieren Wissenschaftler diese Frage – ohne zu einem eindeutigen oder allseits überzeugenden Ergebnis gekommen zu sein. Oder der Atombombenabwurf von Hiroshima oder Nagasaki. War das verhältnismäßig? Oder hätte man besser weitere 10 000de junge Amerikaner in den Tod schicken sollen, um Japan konventionell in die Knie zu zwingen? Die Fragen nach den Verhältnismäßigkeiten ist eine Frage für Historiker.
Nicht so, wenn es um Israel bzw. den Judenstaat geht: Da können Nicht-Historiker schon während der laufenden Operation aus eigener Herrlichkeit festlegen, dass jüdisches Vorgehen nicht verhältnismäßig sei! Natürlich ohne auch nur andeuten zu müssen, wie das Terrorregime der Hamas alternativ in die Knie gezwungen werden könnte: Vorwürfe ohne konkrete Lösungsansätze.
Dazu kommt: Diese Vorhaltung ist exklusiv an Juden gerichtet. Anderen gegenüber wurde sie nicht in Erwägung gezogen (obwohl es dafür genug Gelegenheiten gab, siehe den kürzlichen Kampf gegen den IS, gegen Assad, gegen Jemen usw.). Nun ist ein Zeichen für Antisemitismus laut dem entsprechenden Beauftragten der Bundesregierung neben der Delegitimierung und der Dämonisierung Israels auch der Versuch, doppelte Standards anzulegen – also von Juden bzw. Israel aufgrund strengerer Maßstäbe Anderes zu erwarten als von anderen Nationen oder Völkern.
Aber wir wollen hier noch einen Spatenstich tiefer ansetzen: Nach einer (zumindest für mich) neuen Definition des Phänomens „Antisemitismus“ zeichnet dieser sich dadurch aus, dass den Juden das vorgeworfen wird, in das die Gesellschaft, aus der dieser Vorwurf kommt, selbst verwickelt ist.
Für die Nazis z.B. war eine Begründung für ihren Judenhass, dass der Jude die Weltherrschaft an sich reißen wolle – den Juden wurde also genau das vorgeworfen, das die Nazis selbst verfolgten.
Araber und Iraner geben als Grund für ihren Judenhass an, dass die Juden Land stehlen würden und Kolonisten wären. Jedoch: Wer nur ein bisschen die Geschichte das arabischen Islam kennt, der weiß, dass die gesamte muslimische Welt so entstanden ist! Durch die Eroberung von Gebieten, durch Kolonisation und die brutale Beherrschung anderer Völker. Der Iran betreibt das bis heute und versucht, Libanon, Jemen und Syrien für sich zu kolonisieren. Also auch hier gilt: Der Vorwurf, der gegen Juden erhoben wird, beschreibt das eigene Verhalten.
Schauen wir noch kurz auf den Genozid-Vorwurf der islamischen Welt gegenüber dem Judenstaat. Was sind die Fakten? Die Bevölkerung Gazas hat sich von 2005 (Jahr der Selbstbestimmung) bis 2023 von 1,4 Millonen auf 2,3 Millionen erhöht. Die Arabische Minderheit innerhalb Israels ist im gleichen Zeitraum von 1,38 Millionen auf 2,08 Millionen gewachsen. Das soll Genozid sein? Schauen wir uns dagegen die Minderheiten in den arabischen Nachbarländern an: Der Iran hatte 1970 ca. 100 000 Juden, die dort seit Jahrhunderten lebten, heute sind es weniger als 10 000. Eine Einbuße von 90%. Im Iraq ist es noch signifikanter: 1948 lebten 140 000 Juden im Iraq, heute wird ihre Zahl auf weniger als 10 geschätzt. Man könnte die gleiche Statistik mit Christen machen. Islamische Gesellschaften neigen gegenüber Minderheiten zu genozidalem Verhalten – werfen den Juden aber genau das vor!
Kommen wir jetzt zum deutschen Vorwurf der Unverhältnismässigkeit – mal ganz abgesehen davon dass er, wie bereits erläutert, in allen anderen Kriegen eine Frage fürs Fachpersonal für die Jahre nach dem Konflikt ist. Kann es sein, dass auch bei diesem Vorwurf die Juden bzw. Israelis etwas von uns gespiegelt bekommen, in das wir selbst zutiefst verwickelt sind?
In unserem Land ist zur Zeit extrem viel nicht im richtigen Verhältnis:
- Unverhältnismäßig hohe bürokratische Hürden: Unsere Politiker sprechen selbst davon, dass alle möglichen Hürden für alles und jenes völlig aus dem Ruder gelaufen sind und endlich abgebaut werden müssten, damit unsere Innovationskraft endlicher wier zur Entfaltung kommen kann – wir schaffen es aber nicht.
- Unverhältnismäßig schlechte Deutschkenntnisse: Die Sprachkenntnisse in Schulanfängerklassen stehen vielerorts nicht im richtigen Verhältnis zu einem möglichen gemeinsamen Lernerfolg.
- Viele Städte und Gemeinden beklagen ein Missverhältnis von Einwohnern zu Migranten (Eckernförde nicht, Rendsburg schon).
- Betriebe klagen über die Unverhältnismäßigkeit von Energie- Umwelt- und Berichtskosten in unserem Land, ihnen bricht dadurch die Konkurrenzfähigkeit weg.
- Schließlich das schiefe Verhältnis zwischen Einzahlern und Empfängern unserer Rentenkasse – das sich in den nächsten Jahren zu einer bedrohlichen Unverhältnismäßigkeit auswachsen wird.
- Und zum Schluss: Praktisch alle ernstzunehmenden Politiker sind sich einig, dass die Ausrüstung unserer Armee in Personal und Technik im krassen Unverhältnis zur Bedrohungslage um uns herum steht.
Mit anderen Worten: Unverhältnismäßig ist es bei uns wohin man nur schaut. Und wenn es stimmt, dass Menschen und Gesellschaften dazu neigen, das, worin sie selbst verwickelt oder verstrickt sind, gerne mal auf Juden zu projizieren, dann wäre „Unverhältnismäßig“ genau der Vorwurf, den wir Deutschen anwenden würden – und wir tun es!
Andere haben oder hatten die Weltherrschaft im Sinn, vergrößerten ihre Gebiete durch Kolonisation oder betreiben Genozid an Juden oder Christen – labeln damit aber Israel bzw. die Juden. Wir Deutschen haben offensichtlich ein Problem mit Verhältnismäßigkeit – in vielerlei Hinsicht – und stülpen dieses Prädikat nun den Juden über. Dabei ist klar: Vorwürfe wie “Genozid” sind natürlich von einem ganz anderen Kaliber!
Jedoch: Unser deutscher Chor der Vorwürfe gegenüber der israelischen Regierung in ihren Verteidigungsbemühungen gegen die Terrorattacken der Hamas ist mindestens unnötig – oder gar ein Schnuff Antisemitismus? Das mag jeder Leser selbst für sich entscheiden.
Man könnte natürlich solche Anschuldigungen oder Urteile wie “Unverhältnismäßig” gegenüber Juden oder Israelis – egal wie implizit oder explizit sie daherkommen – einfach lassen und stattdessen doch besser vor der eigenen Haustür kehren!
Einen nachdenklichen Tag wünscht,
Bernd