Ein Schnuff Antisemitismus?

“Die Zivilbevölkerung derart in Mitleidenschaft zu nehmen wie das in den letzten Tagen immer mehr der Fall gewesen ist, lässt sich nicht mehr mit einem Kampf gegen des Terrorismus der Hamas begründen.“ (Friedrich Merz auf der Digitalkonferenz re:publica im Mai ’25 in Berlin). Ähnlich der Bundesaußenminister Johann Wadepuhl, der Israel den Bruch des Völkerrechts vorwirft (Juni ’25). Beide benutzen das Wort „Unverhältnismäßigkeit“ zwar nicht, rücken aber maximal dicht heran. Walter Kolbow, Lars Klingbeil (beide SPD) und Robert Habeck sowie Deborah Dührung (Grüne) sind da deutlicher. Linke und BSW sowieso.

Zunächst einmal: Bis zur jetzigen Zeit war die Frage nach verhältnismäßigen oder unverhältnismäßigen Aktionen oder Strategien im Kriegsfall eine Frage für Historiker, die dann im Nachgang eines Krieges oder Konflikts solchen Fragen ringen. Oft Jahrzehnte danach. So z.B. die flächendeckenden Zerstörungen der Alliierten von Dresden, Heilbronn oder Paderborn. Bis heute diskutieren Wissenschaftler diese Frage – ohne zu einem eindeutigen oder allseits überzeugenden Ergebnis gekommen zu sein. Oder der Atombombenabwurf von Hiroshima oder Nagasaki. War das verhältnismäßig? Oder hätte man besser weitere 10 000de junge Amerikaner in den Tod schicken sollen, um Japan konventionell in die Knie zu zwingen? Die Fragen nach den Verhältnismäßigkeiten ist eine Frage für Historiker.

Nicht so, wenn es um Israel bzw. den Judenstaat geht: Da können Nicht-Historiker schon während der laufenden Operation aus eigener Herrlichkeit festlegen, dass jüdisches Vorgehen nicht verhältnismäßig sei! Natürlich ohne auch nur andeuten zu müssen, wie das Terrorregime der Hamas alternativ in die Knie gezwungen werden könnte: Vorwürfe ohne konkrete Lösungsansätze.

Dazu kommt: Diese Vorhaltung ist exklusiv an Juden gerichtet. Anderen gegenüber wurde sie nicht in Erwägung gezogen (obwohl es dafür genug Gelegenheiten gab, siehe den kürzlichen Kampf gegen den IS, gegen Assad, gegen Jemen usw.). Nun ist ein Zeichen für Antisemitismus laut dem entsprechenden Beauftragten der Bundesregierung neben der Delegitimierung und der Dämonisierung Israels auch der Versuch, doppelte Standards anzulegen – also von Juden bzw. Israel aufgrund strengerer Maßstäbe Anderes zu erwarten als von anderen Nationen oder Völkern.

Aber wir wollen hier noch einen Spatenstich tiefer ansetzen: Nach einer (zumindest für mich) neuen Definition des Phänomens „Antisemitismus“ zeichnet dieser sich dadurch aus, dass den Juden das vorgeworfen wird, in das die Gesellschaft, aus der dieser Vorwurf kommt, selbst verwickelt ist.

Für die Nazis z.B. war eine Begründung für ihren Judenhass, dass der Jude die Weltherrschaft an sich reißen wolle – den Juden wurde also genau das vorgeworfen, das die Nazis selbst verfolgten.

Araber und Iraner geben als Grund für ihren Judenhass an, dass die Juden Land stehlen würden und Kolonisten wären. Jedoch: Wer nur ein bisschen die Geschichte das arabischen Islam kennt, der weiß, dass die gesamte muslimische Welt so entstanden ist! Durch die Eroberung von Gebieten, durch Kolonisation und die brutale Beherrschung anderer Völker. Der Iran betreibt das bis heute und versucht, Libanon, Jemen und Syrien für sich zu kolonisieren. Also auch hier gilt: Der Vorwurf, der gegen Juden erhoben wird, beschreibt das eigene Verhalten.

Schauen wir noch kurz auf den Genozid-Vorwurf der islamischen Welt gegenüber dem Judenstaat. Was sind die Fakten? Die Bevölkerung Gazas hat sich von 2005 (Jahr der Selbstbestimmung) bis 2023 von 1,4 Millonen auf 2,3 Millionen erhöht. Die Arabische Minderheit innerhalb Israels ist im gleichen Zeitraum von 1,38 Millionen auf 2,08 Millionen gewachsen. Das soll Genozid sein? Schauen wir uns dagegen die Minderheiten in den arabischen Nachbarländern an: Der Iran hatte 1970 ca. 100 000 Juden, die dort seit Jahrhunderten lebten, heute sind es weniger als 10 000. Eine Einbuße von 90%. Im Iraq ist es noch signifikanter: 1948 lebten 140 000 Juden im Iraq, heute wird ihre Zahl auf weniger als 10 geschätzt. Man könnte die gleiche Statistik mit Christen machen. Islamische Gesellschaften neigen gegenüber Minderheiten zu genozidalem Verhalten – werfen den Juden aber genau das vor!

Kommen wir jetzt zum deutschen Vorwurf der Unverhältnismässigkeit – mal ganz abgesehen davon dass er, wie bereits erläutert, in allen anderen Kriegen eine Frage fürs Fachpersonal für die Jahre nach dem Konflikt ist. Kann es sein, dass auch bei diesem Vorwurf die Juden bzw. Israelis etwas von uns gespiegelt bekommen, in das wir selbst zutiefst verwickelt sind?

In unserem Land ist zur Zeit extrem viel nicht im richtigen Verhältnis:

  • Unverhältnismäßig hohe bürokratische Hürden: Unsere Politiker sprechen selbst davon, dass alle möglichen Hürden für alles und jenes völlig aus dem Ruder gelaufen sind und endlich abgebaut werden müssten, damit unsere Innovationskraft endlicher wier zur Entfaltung kommen kann – wir schaffen es aber nicht.
  • Unverhältnismäßig schlechte Deutschkenntnisse: Die Sprachkenntnisse in Schulanfängerklassen stehen vielerorts nicht im richtigen Verhältnis zu einem möglichen gemeinsamen Lernerfolg.
  • Viele Städte und Gemeinden beklagen ein Missverhältnis von Einwohnern zu Migranten (Eckernförde nicht, Rendsburg schon).
  • Betriebe klagen über die Unverhältnismäßigkeit von Energie- Umwelt- und Berichtskosten in unserem Land, ihnen bricht dadurch die Konkurrenzfähigkeit weg.
  • Schließlich das schiefe Verhältnis zwischen Einzahlern und Empfängern unserer Rentenkasse – das sich in den nächsten Jahren zu einer bedrohlichen Unverhältnismäßigkeit auswachsen wird.
  • Und zum Schluss: Praktisch alle ernstzunehmenden Politiker sind sich einig, dass die Ausrüstung unserer Armee in Personal und Technik im krassen Unverhältnis zur Bedrohungslage um uns herum steht.

Mit anderen Worten: Unverhältnismäßig ist es bei uns wohin man nur schaut. Und wenn es stimmt, dass Menschen und Gesellschaften dazu neigen, das, worin sie selbst verwickelt oder verstrickt sind, gerne mal auf Juden zu projizieren, dann wäre „Unverhältnismäßig“ genau der Vorwurf, den wir Deutschen anwenden würden – und wir tun es!

Andere haben oder hatten die Weltherrschaft im Sinn, vergrößerten ihre Gebiete durch Kolonisation oder betreiben Genozid an Juden oder Christen – labeln damit aber Israel bzw. die Juden. Wir Deutschen haben offensichtlich ein Problem mit Verhältnismäßigkeit – in vielerlei Hinsicht – und stülpen dieses Prädikat nun den Juden über. Dabei ist klar: Vorwürfe wie “Genozid” sind natürlich von einem ganz anderen Kaliber!

Jedoch: Unser deutscher Chor der Vorwürfe gegenüber der israelischen Regierung in ihren Verteidigungsbemühungen gegen die Terrorattacken der Hamas ist mindestens unnötig – oder gar ein Schnuff Antisemitismus? Das mag jeder Leser selbst für sich entscheiden.

Man könnte natürlich solche Anschuldigungen oder Urteile wie “Unverhältnismäßig” gegenüber Juden oder Israelis – egal wie implizit oder explizit sie daherkommen – einfach lassen und stattdessen doch besser vor der eigenen Haustür kehren!

Einen nachdenklichen Tag wünscht,

Bernd

…und kein Neid!

Stellt euch eine kleine Stadt vor, in der kein Müll rumliegt, in der es so wenig Kriminalität gibt, dass niemand des Nachts die Türen abschließt und in der die Leute alle fröhlich zur Arbeit gehen. Die einzige Sorge der Angestellten ist, möglichst vielen ihrer Verwandten auch einen Job in diesem Dorf zu besorgen. Die Unterkünfte hier sind luxuriös und haben für ihre Gäste alles, nur keinen Tresor, weil sowieso niemand was klaut. Nachts können Frauen alleine spazieren gehen, die Straßenlaternen sind mit Bewegungsmeldern ausgestattet. Die Angestellten essen das Gleiche wie ihre Chefs, auch dann, wenn diese superreich sind. Hier seht ihr sie beim Backen von Tortillas (Mais-Pfannkuchen: es kommen zwei auf den Teller und werden dann mit Salat, Fleischstückchen, Avocado, schwarzen Bohnen und anderen Leckereien belegt, zum Schluss kommt ziemlich scharfe Soße drüber, ein hammer Essen :-).

Das Dorf hat seine eigenen Gesetze – diese Regeln sind aber recht überschaubar, deshalb passen sie auch auf eine handliche Tafel, und weil immer noch Platz ist, schreibt man auch gleich die dazugehörige Strafe mit drauf:

Hört sich das für deutsche Ohren ziemlich verrückt an? Diese Städte und Dörfer gibt es wirklich! Mitten in einem Entwicklungsland. Mitten einem Ozean aus Krimminalität, Korruption und Chaos. Sie haben längere Namen, das erste Wort ist meist “Condominium” ist. Sie sind so groß, dass die Fahrzeuge darin eigene Nummernschilder haben:

Gestern habe ich mit solch einem Fahrzeug das Condominium verlassen und kam an einer staatlichen Polizeikontrolle vorbei, die Polizisten haben nur freundlich gewunken. Innerhalb dieses “Condominiums” hab ich noch nie einen offiziellen Polizisten gesehen. Das Tor wird von privaten Wachleuten bewacht, die allerdings tüchtig bewaffnet sind. Der Zugang ist stark reglementiert – jeder braucht einen belastbaren Grund dafür, durch das Tor in dieses paradiesische Dorf zu kommen: Gründe sind Arbeit oder Service, Eigentum oder Miete und natürlich Einladungen von Bewohnern.

Mit anderen Worten: Es gibt Dörfer und kleine Städte in Guatemala, die angenehmer und sicherer sind als Eckernförde oder Bad Tölz. Ehrlich. Ich sehe es und darf es genießen. Und die Bauplätze hier sind sogar günstiger als in den beiden genannten Städten. Unglaublich!

Warum ist das so möglich? Warum haben verarmte Massen landloser Menschen diese Paradiese nicht schon längst gestürmt? Sie könnten das problemlos, den seit den 80ern sind die Strände hier öffentlich. Jeder kann über kleine Umwege rein – und unser Condominium hat einen riesigen Strand! Also: Warum passiert das nicht?

Wenn man – wie ich – nur drei Wochen da ist, kann das nur eine Momentaufnahme sein – aber es kommt einem schon so vor, dass NEID hier ziemlich kleingeschrieben wird. Die Leute sind einfach dankbar, dass sich Arbeitgeber hier ansiedeln und sich daraus die Chance auf geregelten Broterwerb ergibt. Und arbeitsmäßig macht sich in diesem Dorf keiner kaputt, den hier geht es nicht zuerst um Geschwindigkeit und messbare Leistung, sondern um Verlässlichkeit und Vertrauen. Tatsächlich werden es immer mehr, die sich für ein Anwesen im Condominium entscheiden, da Oberschicht und Mittelschicht in Guatemala offensichtlich am Wachsen sind. Jedenfalls suggeriert das die Bautätigkeit allerorten, hier eines von vielen Beispielen aus der Nachbarschaft:

Hier wird gut sichtbar, dass das dominierende Verkehrsmittel des Individualverkehrs – auch von Handwerkern – das Motorrad ist. Leider vielfach ohne Führerschein und Licht – Nachts muss man echt aufpassen. Oft sind Motorräder mit 4 Personen besetzt: Der Vater fährt, hat vor sich ein Kind, hinten die Frau, und zwischen ihnen noch ein Kind. Übrigens: Die abgedeckten Zweiräder stehen da nicht dauerhaft, sie werden nur wegen der immensen Sonneneinstrahlung tagsüber abgedeckt, sonst würde der Tank überlaufen und der Sattel wäre wegen der Hitze nicht benutzbar.

Spannende Sache, so ein Land ohne die ständige Neid-Debatte, sondern voller praktischer Ansätze, um möglichst Vielen ein Win-Win-Ergebnis zu ermöglichen.

Soviel für heute, liebe Grüße

Euer Bernd

Überlegenheit mal ganz anders betrachtet – Achtung: Du kannst hier was lernen, das Dein Leben nicht nur verändert, sondern siegreich machen könnte – in einer völlig anderen Dimension!

Hier in Guatemala kostet ein BigMac um die 3,70€/$ , er ist damit etwas günstiger als in Deutschland. Vor jeder McDonalds-Filiale hier steht ein Wachmann mit einer Schrotflinte (Shotgun). Er verdient im Monat, wenn er gut bezahlt ist, 500$, bei schlechter Bezahlung 350. Davon zahlt er evtl. Miete, in jedem Fall ernährt er seine Familie und manchmal noch seine betagten Eltern. Er wird sich niemals einen BigMac leisten können. Sogar ein Päckchen Butter, die hier mindestens so viel kostet wie in Deutschland, eher mehr, ist für ihn unerschwinglich. Dennoch steht solch ein Wachmann geduldig vor jedem Fast-Food-Anbieter, egal ob Taco Bell, Burger King oder halt Mäckes. Bei Tag und Nacht, also in Schichtarbeit. Dazu an jeder Tankstelle – und überhaupt überall, wo Bargeldkassen sind. Es soll noch nie passiert sein, dass solche Wachleute rebelliert haben oder den Laden ausgeraubt haben, von dem sie angeheuert wurden. Streiks kommen praktisch nie vor.

Was will ich damit sagen? Keinesfalls, dass ich diese Umstände gut finde. Auch nicht, dass mich das Los dieser armen Leute kalt lässt. Um diese Fragen geht es an dieser Stelle nicht. Ich möchte unsere Aufmerksamkeit gerne auf ein Detail lenken, das leicht übersehen wird – aber das immense Auswirkungen hat – auch auf unser eigenes Leben mitten in Europa: Die Fähigkeit, Leiden auszuhalten.

Denn wenn Guatemalteken eines können, ist es dies: Ihr Schicksal – egal ob selbst eingebrockt, unverschuldet oder irgendwie reingeschlittert – anzunehmen und dann in der Situation das Beste aus allem zu machen, das mit den gegebenen Möglichkeiten halt drin ist. Ohne zu verbittern, zu verzweifeln oder durchzudrehen. Heute hatten wir die Chance, einen Blick in die Küche dieser lieben Menschen zu werfen:

Der schräge Stein der Mitte ist übrigens die Unterlage der Küchenmühle. Mit einem weiteren Stein werden darauf Körner, z.B. Mais zermahlen, das fertige Mehl rutscht dann runter, deshalb die Schräge.

So bescheiden das auch wirkt, schauen diese Menschen nicht nur auf ihren Vorteil, sondern pflegen – egal wie arm sie sind, mitten im Elend einen bestimmten Lebensstil – nämlich der, der ihnen taugt. So lieben sie hier z.B. ihre Straßenhunde. Die dürfen sein und werden gefüttert. Autos umfahren sie sorgsam. Obwohl es so viele sind, fühlt sich keiner genervt – sie gehören einfach dazu. Natürlich würde niemand einen Straßenhund zum Tierarzt bringen oder gar für eine Sterilisation bezahlen. Aber Essen, Wasser und Respekt gibt es für sie. Mitten unter den Ärmsten der Armen. Es wirkt, wie wenn die Leute hier ihr Leid und ihre Leidensfähigkeit mit diesen Kötern teilen.

Und jetzt kommt die entscheidende Frage, über die es sich lohnt nachzudenken: Kann es sein, dann unser Mangel an Leidensfähigkeit im Westen und Norden des Globus uns unterlegen macht gegenüber Kulturen, die viel mehr Leiden ertragen können? Kann es sein, dass wir schon bei drohenden Entbehrungen viel zu schnell einknicken, weil wir viel zu bequem geworden sind?

Es gibt in unserer unmittelbaren Umgebung eine Nation, die ebenso gut leiden kann wie die Guatemalteken – vielleicht sogar noch besser: Die Russen. Seit Beginn ihrer Offensive in der Ukraine haben sie je nach Schätzung zwischen 200 000 und 250 000 Soldaten verloren. Und es gibt kaum Proteste, kaum Streiks und schon gar keine Revolte. Zum Vergleich: Im gesamten Afghanistan-Krieg verloren insgesamt 60 deutsche Soldaten ihr Leben (35 davon durch Fremdeinwirkung) – und das erschien uns als Blutzoll bereits viel zu viel. Die Russen sind uns in Punkto Leidensfähigkeit haushoch überlegen.

Auch an dieser Stelle bitte ich, nicht missverstanden zu werden: Jeder Blutzoll ist immer zu hoch und oftmals unnötig und vermeidbar. Jede Familie, die einen Menschen auf brutale Weise verliert, ist für immer gezeichnet. Darüber wurde schon viel geschrieben. Hier geht es heute um etwas anderes:

Bis vor kurzem spielte das Element der Leidensfähigkeit in den Lagebeurteilungen dieser Welt kaum eine Rolle. Wir haben nur Statistiken über Finanzmittel, Waffensysteme, Wirtschaftsdaten und die Anzahl der Soldaten gesehen. Tatsächlich könnte die Frage nach der Leidensfähigkeit kriegsentscheidend sein – denn wer am längsten durchhält, könnte auch dann gewinnen, wenn die Gegner auf anderen Bereichen zwar besser aufgestellt, aber weniger Leidensfähig sind und keine Entbehrungen mehr ertragen können.

Machen wir das an einem ganz konkreten Gedankenexperiment fest: Was würde geschehen, wenn die Russen Lettland angreifen, wir unserer NATO-Beistandsverpflichtung nachkommen würden und die ersten 1000 deutschen Soldaten kämen tatsächlich in Leichensäcken nach Hause? Welche Partei wird wohl zuerst nach Frieden schreien – auch wenn das bedeuten würde, Lettland aufzugeben? Und dann Estland, Litauen und Polen? Nach Polen wäre dann folgende Frage ebenso tragisch und spannend: Wie viele Tote wäre uns wohl die Freiheit Brandenburgs wert? Dieses Szenario ist nicht besonders weit hergeholt – Millionen Menschen – z.B. in Kiew – stellen sich seit Jahren jeden Tag genau diese Fragen.

Ich finde es gut, dass nun angefangen wird, ernsthaft über die Frage der Leidensfähigkeit nachzudenken. Simon Kuper, der Journalist, nennt es das Rocky-Prinzip: Wer die größte Leidensfähigkeit hat, siegt am Ende. Dieses Thema zieht sich durch alle Rocky-Filme und findet seinen Höhepunkt in “Rocky II” von 1979: Blutüberströmt und mit zugeschwollenen Augen steht Rocky nochmal auf, als der Ringrichter beim Auszählen bei “9” ankommt – und gewinnt so den entscheidenden Kampf. Es stimmt einfach in vielfacher Hinsicht: Wer die größte Leidensfähigkeit hat, gewinnt am Ende.

Entbehrungen ertragen zu können – also Leidensfähigkeit – ist eine entscheidende Zutat zum Sieg auf vielen Bereichen. Auch im ganz kleinen, unspektakulären Alltag. Oft ist sie nötig, um eine Lehre erfolgreich abzuschließen, eine begehrte Lizenz, z.B. den Führerschein zu erwerben oder um den Wunsch nach Immobilienbesitz Wirklichkeit werden zu lassen. Eine Ehe in schwierigen Zeiten auszuhalten oder Teenager in ihren schlimmsten Phasen liebevoll zu erziehen.

Von unseren vier Kindern haben alle mittlerweile unser Haus verlassen. Sie gehen ihren Weg in dem Sinn, dass jedes seine Ausbildung abgeschlossen hat, einen Job samt Auskommen ausübt, Perspektiven für die Zukunft entwickelt — und erlebt, wie sich erste spannende Freiräume für sich künftig bietende Chancen und Möglichkeiten auftun. Für mich ist das bereits ein gewisser “Bruterfolg” – jedoch einer, der ohne angelernte Leidensfähigkeit mit Sicherheit nicht so eingetreten wäre.

Nur ein Beispiel: Unsere Kinder mussten über Jahre mithelfen, Knickholz für den Ofen zu machen. Im Winter, auf freiem Feld. Erst bei 1,5m³ pro Einsatz wurde Schluss gemacht – auch bei Minusgraden. Vor dem dadurch eingesparten Heizgeld haben wir irgendwann einen “Wolf” gekauft (militärische Ausführung der G-Klasse), und alle Kinder konnten auf den Feldern den sicheren Umgang mit diesem Gerät erlernen. Unter den härtesten Bedingungen. Die lieben Kleinen wurden nicht in Watte gepackt – jeder von ihnen hatte die Möglichkeit, eine gewisse Leidensfähigkeit unter echten Bedingungen einzuüben. Heute sind sie – ob in Studium oder handwerklicher Lehre, ob im Job oder in ihren Beziehungen – jeder auf seine ganz eigene Art irgendwie Sieger!

Hier kommt nun die persönliche Anwendung des bisher Gelernten (falls du das noch liest und nicht längst weitergeklickt hast :-). Bitte überlege für dich selbst folgende Fragen:

  • Wo packe ich mich selbst in Watte — obwohl ich Leiden oder Entbehrungen ertragen sollte?
  • Wo packe ich andere in Watte, obwohl ich ihm/ihr oder ihnen Leiden oder Entbehrungen zumuten sollte? Wer ist das? Auf welchen Bereichen?
  • Wo sind durch ungute Leidensvermeidung ungesunde Abhängigkeiten oder Beziehungsgeflechte entstanden, die es in meinem Leben nicht geben sollte?
  • Welcher kleine Schritt würde mich ein wenig aus der Komfortzone herausholen und meine Leidensfähigkeit auf die Probe stellen bzw. “stretchen”?

Der letzte Punkt kann alles sein – vom Erwerb eines Schwimmabzeichens bis zum verbindlichen Besuch einer Selbsthilfegruppe der “Anonymen …” für z.B. drei Monate. Oder vielleicht solltest zu jemandem erlauben, mal ein Jahr lang ganz frei und ohne Rücksicht in dein Leben hinein sprechen zu dürfen? Es gibt unzählige Möglichkeiten, die Watte, in die man sich selbst gepackt hat, ein bisschen auszudünnen und die eigene Leidensfähigkeit zu “stetchen”. Aus christlicher Sicht ist eine Fastenzeit dafür auch ganz gut geeignet. Nicht jeder muss gleich für ein Jahr bei der Bunderwehr anheuern – obwohl das für eine einen oder anderen sicher auch eine super Option ist.

Um nochmal von uns weg über den Tellerrand zu blicken: Wenn die Leidensfähigkeit der Menschen, wie ich sie hier erlebe, wirklich ein Schlüssel zum siegreichen Bestehen auch im Kampf mit anderen, feindlich gesinnten Kulturen ist, dann wird es Guatemalteken noch sehr lange geben – stand heute wahrscheinlich wesentlich länger als Deutsche, Holländer oder Franzosen. Aber wer weiß, vielleicht gerät da jetzt auch bei uns etwas in Bewegung?

Lieber Leser, hier werden recht steile Thesen vertreten – sicher tüchtig Stoff zum Nachdenken – entsprechend würde ich mich über Feed-Back zu diesem Thema sehr freuen – das hilft dann bei weiterdenken 🙂

Lieben Gruß aus Guatemala,

Dein Bernd

Arm und reich

Im linken Bild seht Ihr eine Außenküche unter Wellblech, etwas weiter links davon wäre der Wohnbereich, immerhin mit festen Wänden – ebenfalls unter Wellblech. Das reche Bild zeigt unser Wohnhaus, gebucht bei AirBnB. Unglaublich: Beide Häuser stehen auf dem gleichen Grundstück – und wir haben herausbekommen, wie das funktioniert: Die arme Familie passt auf das Ferienhaus auf und bedient das massive Tor, das dieses Grundstück von der Straße trennt. Dafür wohnt die Familie in der Hütte und kann auch noch das angrenzende Feld zur Eigenversorgung anbauen.

Was für unsere westliche Wahrnehmung unglaublich klingt, ist hier Alltag: Extrem Arm und Reich wohnen beieinander und kommen irgendwie zurecht. Wer in Guatemala wohnt, weiß genau, wo er sein Auto abstellen kann und wo nicht, wo Bewegung zu Fuß möglich ist und wo man das besser unterlässt – oder sich höchstens in Gruppen bewegt. Am vergangenen Sonntag feierten wir Gottesdienst – und das Gemeindehaus liegt in einer nicht so guten Gegend. Trotzdem parkierte unser Gastgeber sein Autos scheinbar achtlos am Straßenrand. Ich wunderte mich darüber, doch als der Gottesdienst vorüber war, und wir auf sein Auto zugingen fragte er mich, ob ich Kleingeld in der Tasche hätte? Ich gab ihm 5 Quetzales (75ct), und er reichte diesen Schein weiter an einen Mann, der in der Ecke stand – unser Gastgeber hatte zuvor abgesprochen, dass dieser Mann auf das Auto achtete, während wir den Gottesdienst besuchten. So läuft das hier.

Was ist der Grund? Warum gibt es diese extreme Armut? Ich habe versucht, in diesen Tagen hier genau hinzusehen und verschiedene Leute zu befragen, um dahinterzublicken. Aus deutscher Sicht wäre die Antwort ganz einfach: Durch ungerechte Verhältnisse und ungerechte Strukturen hat sich die Schere zwischen arm und reich immer weiter geöffnet, und die Benachteiligten kommen nie auf einen grünen Zweig. Dann würde die Kolonialvergangenheit früher und die ausbeuterischen Amis heute noch eine Rolle spielen und fertig wäre die Antwort – es geht also um strukturelle Verhältnisse, wie sie von uns im Norden in dieser oder ähnlicher Form dem ganzen “globalen Süden” unterstellt werden.

Hier erlebe ich live, dass das – mindestens für Guatemala – so einfach nicht stimmt. Wenn Du bereit bist für eine Sicht, die vor Ort entstanden ist – aber mächtig abweicht von unserer Westlichen, dann bist du hier richtig.

Wir beginnen so: Erinnerst du dich noch an die Geschichte vom Fischer aus dem Schulunterricht? Sie stammt aus der Feder von Heinisch Böll, Pazifist, 68er und linker Vordenker. Ich fasse den Sinn kurz zusammen: Der Fischer sitzt tatenlos am Kai und genießt die Sonne, obwohl es noch früh am Vormittag ist. Da kommt der eifrige Geschäftsmann vorbei, rügt ihn für seine Tatenlosigkeit und erzählt ihm, was alles möglich wäre, wenn dieser Fischer seinen Fischereibetrieb etwas eifriger und fleißiger betreiben würde. Er erläutert die Vorteile in den buntesten Farben und kommt am Ende zu dem Ergebnis, dass der Fischer sich dann am Ende seiner Tage entspannt an den Kai setzen könnte, um die Früchte seiner Mühen zu genießen. Der Fischer antwortet: Das tue ich doch jetzt schon. An dieser Stelle endet das Gespräch. Als wir das in der Schule durchgenommen haben, war ich beeindruckt von der bestechenden Logik und habe damals nicht weitergedacht – aber genau hier liegt der Grund für die Armut hier in diesem Land!

Führen wir also die Geschichte weiter: Der Geschäftsmann hätte sagen können – klar, kannst du so machen, aber wenn viele deine Einstellung so übernehmen, wird die Schotterpiste zu deinem Betrieb für immer eine Schotterpiste bleiben. Das Krankenhaus in deiner Stadt wird dann niemals ein Röntgengerät nutzten können und der Arzt, der deinem Kind den Blinddarm operieren könnte, wird in einem anderen Land arbeiten – dort, wo die Menschen anders an die Frage von Broterwerb und Zukunftsinvestition rangehen. Und ob der Lehrer, der deine Kinder kaum sieht aus gutem Willen und Idealismus wirklich bleibt, ist auch fraglich.

Genau das ist das Problem hier. Da man von der Hand in den Mund leben kann, da es niemals Winter wird und niemand ein isoliertes Haus oder eine Heizung braucht, da hier auf kleinster Fläche alles mögliche in Fülle wächst und wirklich niemand verhungern muss, ist es bestechend einfach, den Tag zu genießen und so wenig wie möglich zu tun. Warum soll ich mein Kind aufwändig in die Schule quälen – oder es zur Sicherheit gar noch begleiten, wenn ich doch selbst ohne Lesen, Schreiben und Rechnen durchgekommen bin? Es geht doch auch so!

Besonders deutsche und österreichische Unternehmer entdeckten, dass die Verbindung mit tropischem Klima, vulkanischer Erde und der Höhenlage perfekte Voraussetzungen für Kaffeeanbau sind. Sie haben sehr erfolgreiche Kaffeeplantagen gegründet – und versucht, auch etwas gegen das Elend vor Ort zu tun. Daraus sind – Stand heute – zwei Schulen entstanden: Die deutsche (1901) und nach dem Krieg dann die österreichische (1958) Schule. Zum Teil mit Kindergarten, Vorschule, und dann bis zur Oberstufe. Mit Möglichkeiten des anschließenden Studiums in Deutschland oder Österreich. Beide Schulen sind groß – je 1000 Schüler. Sie leisten einen hervorragenden Beitrag zur Bildung hier. Doch obwohl sie seit mehr als 50 Jahren existieren, blieb es bei einem “Beitrag”. Es entstand kein “Leuchtturmeffekt”, das Bildungssystem des Landes hat sich nicht daran orientiert. Nachahmeffekte haben sich kaum ergeben (Ausnahme: ein paar sogen. Landschulen).

Und so bleibt es dabei: Wer hier bereit ist, in sich selbst zu investieren und dafür in Kauf zu nehmen, heute hart zu arbeiten und zu lernen um morgen ein anderes Leben zu haben, wird ein anderes Leben finden. Evtl. sogar an einer Schule, an der Deutsch unterrichtet wird. Wer dazu nicht bereit ist, wird hier nicht verhungern. Er wird sich dann lebenslang im Billiglohnsegment durchschlagen oder halt kriminell werden, um sein Auskommen zu erlangen. So sieht das hier aus.

Wer jetzt sagt: Das ist ja eine völlig andere Sicht als wir sie in Deutschland vermittelt bekommen, dem sage ich: Komm selbst her, schau dich um – und fälle dein eigenes Urteil!

Mit diesen Gedanken wünsche ich Dir einen schönen Tag – und falls Du Kinder im Schulalter hast: Eine engagierte Zeit mit den Hausaufgaben 🙂

Dein Bernd

Verschwenderisch verwöhnt

Manchmal sieht man das Gold erst auf den zweiten Blick: Neben dem Haus, in den wir untergebracht sind, liegt ein Stück Land. Bei unserer Ankunft sah es aus wie ein Stück Wüste oder wie eine Brache. Wir sind jetzt sechs Tage hier und das gleiche Stück Land sieht aus, wie ein riesiges Gemüsebeet: Alles wächst in einer unglaublichen Geschwindigkeit.

Tatsächlich ist Guatemala, was Klima und Fruchtbarkeit betrifft, verschwenderisch verwöhnt. Es liegt zwar in den Tropen, hat aber durch die Höhe (wir wohnen auf 2000m Seehöhe) ein eher gemäßigtes Klima. Es fühlt sich an wie ständiges Frühjahr/Sommer bei uns zuhause. Dazu fruchtbare, vulkanische Böden und ausreichend Wasser. Hier wächst alles! Das Bild vom Fruchtladen, das hier folgt, könnte vielleicht auch aus Hamburg stammen, dann wären die Früchte das Ergebnis eines immensen logistischen Aufwands und würden Zeugnis geben von den genialen Management-Fähigkeiten hamburgischer Kaufleute. Doch die Früchte, die ihr hier seht, kommen allesamt aus einem Radius von maximal 20km! Schaut Euch das an:

Viele Menschen bringen diese verschwenderische Fülle tatsächlich in Verbindung mit Gottes Gunst und seinem Segen. Sie lieben es, das auch zu bekennen und zu bezeugen. Hier könnt ihr sehen, wie das auf unvergleichliche Art und Weise hier praktiziert wird:

Das ist aus einer Kirche, in die wir beim spazierengehen in Antigua mehr zufällig hineingeraten sind – ich habe niemals etwas Vergleichbares gesehen!

Als uns dämmerte, wie wie unvergleichlich fruchtbar dieses Land ist, haben wir uns die Verkaufsstände am Wegesrand genauer angesehen. Hier bieten “Farmer” ihre Erzeugnisse an. Ich setze “Farmer” in Anführungsstriche, weil bereits ein Grundstück von 2-3000qm (!) als Farm gilt und locker eine Familie ernähren kann. Man bekommt an diesen Ständen Papaya, Avocados, Ananas und Mangos nebst allen gängigen Gemüsesorten für unglaublich schlankes Geld. So sah unser erster Obsteinkauf aus: 1 Ananas, 1 Papaya, 1 Wassermelone, 5 Mangos, 8 Bananen und 6 Tomaten für 80 Quetzales (ca. 9€/$)! Und das alles vollreif geerntet mit maximalem Geschmack, nix mit Nachreife zuhause 🙂

Ich fand auch das Wandbild über dem Fruchtbarkeits-Teppich ganz passend, es ist eine sehr amerikanisch anmutende Interpretation der Vorkommnisse auf dem sogen. “Berg der Verklärung”: Jesus entfernt sich von seinen Jüngern ist ist plötzlich umgeben von Elia und Mose und einem Widerschein der göttlichen Herrlichkeit. Seine Jünger erleben dieses Ereignis erst als erschreckend – dann aber als so angenehm, dass sie es am liebsten festhalten würden – sie können sich vorstellen, alles hinter sich zu lassen um in dieser herrlichen Umgebung dauerhaft zu wohnen!

Offensichtlich gibt es also Menschen hier, die Segensfülle und Herrlichkeit Gottes im Zusammenhang sehen – ich glaube, sie haben völlig recht :-).

Ich möchte das, was Gott mir und uns geschenkt hat und womit er unser Land gesegnet hat, auch so sehen lernen – herausfinden, wo wir verschwenderisch verwöhnt sind, das nutzen und genießen, Gutes draus machen und unserem herrlichen Gott den gebührenden Dank dafür ausdrücken!

Liebe Grüße,

Dein und Euer Bernd

Wir hatten ja keine Ahnung…

…und erleben jetzt die Osterwoche in Antigua/Guate. Das Event heißt “Semana Santa”. Stellt Euch einfach vor, es ist wie deutsche Weihnachten, zusammengedrängt in einer Woche und von Aufwand und Farbenfreude mindestens mal 10. Weltberühmt, hier sind Menschen aus der ganzen Welt, um diese Woche zu erleben. Vor allem natürlich Katholiken, aber davon das volle Spektrum von ganz fromm zu einfach nur neugierig. Ich muss euch einfach ein paar Bilder zeigen:

In der ganzen Innenstadt werden solche Bilder ausgelegt, sie bestehen aus gefärbten Holzschnitzeln und Früchten oder Gemüse. Es können Teppich-Ornamente oder auch christliche Symbole sein. Die jeweiligen Anwohner geben sich unglaubliche Mühe, ihr Kunstwerk so akkurat wie möglich hinzubekommen. So verwandeln sie ihre Stadt in ein farbenfrohes, wunderschönes Gemälde. Was man hier nicht sieht: Guatemala ist ein Entwicklungsland. Viele sind bettelarm – aber für “Semana Santa” ist ihnen kein Aufwand zu groß!

Wenn die bunten Teppiche liegen, kann es losgehen: Für die Prozession gibt es riesige Laden, die ein bisschen an Kölner Karnevals-Umzugs-Wagen erinnern. Sie sind aber länger und aus massivem Holz. Oben sind Kreuzigungsszenen dargestellt – oft überlebensgroß. Diese Laden haben jedoch keine Räder: ihr tonnenschweres Gewicht ruht auf unzähligen Schultern. Es sind Menschen, die Jesu Leid mittragen wollen. Hier erstmal ein Eindruck solch einer Lade:

Am unteren Rand der Lade seht ihr unzählige, kleine Halbmonde. Das sind ledergepolsterte Aussparungen für die Schultern derer, die sie Tragen werden. Damit sich diese Lade fortbewegen kann und nichts schiefgeht, verständigen sich die Träger durch Klopfzeichen, die auch im Straßenlärm vom Holz übertragen werden, so dass jeder weiß, was zu tun ist. Nach dieser kleinen Einführung seid ihr bereit für einen lebendigen Eindruck des Ganzen. Das Filmchen ist von Gestern:

Ein Fun-Fact: Habt ihr die Jungs mit den langen Stangen bemerkt? Sie heben die frei laufenden Oberleitungen an, damit Jesus nicht auch noch einen Stromschlag bekommt…

Mich fasziniert die Hingabe dieser vielen Menschen. Mitten in ihrer Armut und ihrem Mangel feiern sie Ostern als gäbe es kein Morgen – oder besser: Als wäre es der Morgen! Und sie haben völlig recht – die Passion und Auferstehung Jesu gehören nach ganz oben im christlichen Festkalender. Und ja, wir feiern darin die Zukunft voller Hoffnung, die so lange verheißen war und durch Jesu Opfer möglich wurde!

Gleichzeitig hat mich eine Sache traurig gemacht: Wie kann ein Volk, das so im Osterglauben verwurzelt ist, im Alltag so wenig daraus machen? Guatemala ist ein Land voller Unsicherheit, Gewalt, Korruption, No-Go-Areas. Das Fahrzeug, das uns unsere neue Verwandtschaft zur Verfügung gestellt hat, ist gepanzert – und das ist gut so! Es kann auch nicht überall abgestellt werden – besonders in Guatemala-City nur auf bewachten Parkplätzen. Wie traurig ist das denn: Das Evangelium und überhaupt die Bibel enthält so viele Ansätze zum gesunden Aufbau des persönlichen Lebens und der Gesellschaft – wird es befolgt, geht es aufwärts! Aber davon ist hier wenig zu merken, leider.

Mich hat der gestrige Tag noch einmal bestärkt: Ich möchte mehr denn je alles, was Gott uns durch Jesus in den beiden Testamenten geschenkt hat, nicht nur glauben – sondern es möglichst umfassend auch leben! Und im Vertrauen auf Jesus erwarten, dass es sich auswirkt – immer in Richtung Heil und Heilung, in Richtung gesunde Beziehungen und immer hin zu gelingender Lebensführung. Für den Einzelnen – aber auch für die ganze Gemeinschaft! Wenn jeder dieses Anliegen an der Stelle, an der er sich von Gott hingestellt weiß, nach vorne bringt – dann kann das nur gut werden!

Soviel für heute,

Dein Bernd

Neue Welt – neue Perspektiven… Teil 1

Hier werden in den nächsten Tagen und Wochen in lockerer Folge Reisenotizen erscheinen. Das Besondere: Obwohl wir uns niemals dafür entschieden hätten, einfach so mal drei Wochen in Guatemala zu verbringen, tun wir das jetzt freiwilig-unfreiwillig, weil eines unserer Kinder dort seine Liebe gefunden hat und heiraten wird. Welche Eltern und welche Familie würden ihr Kind bei der “Wahl des Lebens” nicht unterstützen? Also: Alles vorbereitet und die Koffer gepackt – am vergangenen Freitag ging es dann los.

Natürlich sind die Notizen, die ihr hier lest, geprägt von Neugier und Wissensdurst – und immer auch von dem Wunsch, Gott und die Welt besser zu verstehen. Und damit beginnt die erste Notiz:

Zwei Tage vor Abflug erzählte mir eine sehr liebe Freundin von dem neusten Buch, das sie gerade liest. Der Titel: “Im Grunde gut: Eine neue Geschichte der Menschheit.”. Unsere Freundin erzählte uns, wie der Autor Studien zu diesem Thema unter die Lupe nimmt, neu interpretiert – und dass es darauf hinauslaufen würde, dass der Mensch prinzipiell gut sei und sich die prinzipielle Güte des Menschen auch zeigen könnte – vorausgesetzt man würde die richtigen Rahmenbedingungen dafür setzen.

Darüber dachte ich nach, während ich mich auf die Reise vorbereitete – denn sollte sich das als richtig herausstellen, wären meine bisherigen Annahmen über das menschliche Wesen ja völlig falsch und ganz daneben. Ich gehöre nämlich zu den Zeitgenossen, die in Jedem zwar die Sehnsucht nach dem Guten und Edlen erkennen – jedoch gleichzeitig so viele unüberwindbare Defizite sehen, dass der Mensch nicht als gut, sondern prinzipiell als zutiefst erlösungsbedürftig anzusehen ist. Und nein, nur bessere Umstände bringen es nicht, auch die Beseitigung von angenommener oder echter Benachteiligung in welcher Form auch immer ist nicht die Lösung aller Probleme. Davon bin ich bisher ausgegangen und hab mein Leben aus diesem Grunde dem Evangelium der Bibel gewidmet. Erlösung durch Gott, der für uns Mensch wurde sich aus Liebe zu uns selbst am Kreuz opfert.

Kann es echt sein, dass ich bisher falsch lag darin, auf dem Weg der Erlösung primär die Hilfe für menschliches Leid und Elend zu suchen? Solche Gedanken gingen mir durch den Kopf, als es losging mit unserer Reise.

Nun liegt Guatemala liegt nicht um die Ecke – wir hatten 4 Strecken zurückzulegen: Hamburg-Amsterdam-Boston-Atlanta-Guatemala City. Falls jemand – so wie ich – nicht soviel Rente zu erwarten hat und zusätzlich privat vorsorgen muss: Ich hab in Airbus investiert und fühle mich durch diese Reise sehr bestätigt. Wir sind von einem Airbus in den nächsten umgestiegen. Wir konnten sehen: Der weltweite Luftverkehr wird von diesen Flugzeugen dominiert. Die Konkurrenz liegt am Boden (Boing). Dazu kommt: Jetzt gerade steht die Airbus-Aktie echt günstig…aber nagelt mich nicht drauf fest :-), denn es ist ja bekannt: Aktieninvestitionen bergen auch Risiken.

Auf den vielen Stationen bis zum Ziel mussten wir tüchtig Kontrollen über uns ergehen lassen – immer in zwei Schritten: Zuerst die Person, dann das Gepäck. Überall, und besonders ausgeklügelt in den USA erlebten wir hochgradig durchdachte und systematisierte Anlagen zur Sicherheit im Flugverkehr vor. Alles, was in ein Flugzeug soll, wird von kompetenten Menschen, unterstützt durch modernste Technik, lückenlos erfasst und geprüft. Als wir zum dritten Mal dann in Atlanta mit vielen hundert anderen in diesen abgesperrten Linien standen und wieder mal alles ablegen mussten (Schuhe ausziehen!), als wieder Fragen über Fragen kamen, Papiere überprüft und unser Gepäck durchleuchtet wurde, wurde mir das eigentlich Offensichtliche glasklar bewusst: Dieser riesige Aufwand dient nur einem einzige Zweck: Zu vermeiden, dass Menschen viele besonders hilflose andere Menschen ohne jede Fluchtmöglichkeit auf einen Schlag töten. Was hier stattfindet wird nicht aus Schikane betreiben – sondern um unser aller Überleben zu gewährleisten! Und die Bedrohung kommt von einer einzigen Seite: Der des Menschen selbst.

Ohne diese Sicherheitschecks würden Menschen sich gegenseitig verletzen und töten – und das ist nicht alles. Darüber hinaus steht diese teure Maschinerie, die ja laufend aufgerüstet wird, für Folgendes: Jeder erfolgreich durchgeführte Flug ist ein Sieg in einem brutalen Wettbewerb! Das Böse, das den Tod sucht, rüstet nach, sucht die Lücken, versucht die Schwachstellen zu durchdringen — die, die das Leben wollen, halten dagegen, um Sicherheit und Wohlergehen Aller zu gewährleisten – in einer Welt, in der man halt nicht vom Guten im Menschen ausgehen kann!*

Rutger Bregmann (Autor des o.g. Buches) kann noch so viele Studien anführen und kritisch hinterfragen – die Realität sieht einfach anders aus. Im beschaulichen Houten (Niederlande, seinem Wohnort) mag es auf den ersten Blick vielleicht anders wirken. In den Elfenbeintürmen der Historiker an den schicken Universitäten auch. Ich bleib – auch unter dem Eindruck dieser Reise um den halben Globus – erstmal bei Thomas Hobbes “Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf”. Oder halt bei Paulus: “Denn es ist hier kein Unterschied: Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie vor Gott haben sollen, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.” (aus dem Römerbrief Kap.3).

Damit das Ganze für heute nicht so traurig endet, hier zwei positive Eindrücke eines unglaublich schönen Landes – später sicher mehr:

Liebe Grüße von der anderen Seite des Meeres,

Dein Bernd

* Zur o.g. Argumentation gibt es einen neuen Kinofilm, z.Zt. auf Netflix, Titel: “Carry-On” von 2024. Ist ein Thriller, hammer-spannend 🙂

Alle eure Dinge lasst in Liebe geschehen [Jahreslosung 2024]

Heute in der Marienkirche zu Rendsburg: Es gab nicht nur diese herrlichen Spätsommersträuße als Altarschmuck – es gab dazu auch eine Predigt zur Liebe. Es hat mir eine riesen Freue gemacht, sie vorzubereiten und am heutigen Sonntag mit vielen Rendsburgern zu teilen. Nun hoffe und bete ich, dass jeder weitere Hörer davon profitiert und etwas für sein Leben im Glauben mitnehmen kann, das bereichert.

Bitte entschuldigt die Akustik, es ist halt eine über 700 Jahre alte Backsteinhallenkirche – und jetzt viel Freude beim Hören:

Frieden im Kulturkampf – ganz unmöglich?

Im Beitrag mit dem Schlagwort “Ribat” vom 17.12.2023 findet Ihr den Grund, aus dem es zwischen Israel und den Palästinensern keinen Frieden geben kann. Ihr müsst den Artikel nicht unbedingt lesen, der Grund kann auch – etwas abstrakt – in einem Satz umrissen werden:

Frieden ist nur möglich, wenn es zwischen Kriegsparteien den Konsens gibt, der jeder Partei ihren rechtmäßigen Platz zugesteht und man sich ausgehend davon für die verbleibenden umstrittenen Bereiche um einen wie auch immer gearteten Kompromiss bemüht.

Anders gesagt: Frieden ist abhängig von einem “Common Ground”, einer gemeinsamen Basis, von der aus die Konfliktbereiche aufgearbeitet werden können. Je besser das Gelingt, desto dauerhafter wird der Frieden.

Im Nahen Osten kann das nicht funktionieren, die Gründe wurden dargelegt. Hier ein ermutigendes Beispiel für ein hervorragendes, dauerhaftes Gelingen in Sachen Friedensschluss:

Die nördliche Grenze unseres Landes war jahrhundertelang umkämpft und die Grenzline zwischen Deutschland und Dänemark verlief entsprechend in dem Bereich zwischen Hamburg-Altona um Süden und Kolding/DK im Norden und wurde je nach Erfolg der entsprechenden Seite immer wieder verlegt.

Der jetzige Grenzverlauf knapp nördlich von Flensburg ist ein Erfolg klassischer Friedensverhandlungen: Beide Parteien hatten den Standpunkt, dass es Bereiche gibt, die nicht in Frage gestellt werden: Deutschland hat (grob gesagt) das dänische Kernland nördlich von Kolding nicht in Frage gestellt und Dänemark hat das deutsche Kernland südlich von Hamburg nicht hinterfragt, beide Parteien haben beides als Gegebenheit angenommen. Für den strittigen Bereich dazwischen wurde (vereinfacht gesagt) vereinbart: Die Dänen südlich der Grenze bekommen als Minderheit bestimmte Rechte (eigenes Schul-und Gesundheitssystem, keine 5%-Klausel im Parlament) und die Deutschen nördlich der Grenze bekommen analog vergleichbare Sonderrechte. All das wurde in den “Bonn-Kopenhagener Erklärungen” 1955 niedergelegt – die Basis eines nun schon viele Jahrzehnte andauernden Friedens.

So geht Frieden in dieser Welt: Ausgehend von einem “Common Ground” einigt man sich über die zu lösenden Konflikte und findet eine Lösung, die für beide Seiten nicht schmerzfrei, aber akzeptabel ist.

Jetzt zu unserem Kulturkampf, in dem wir stehen: Er ist so gefährlich, weil es keinen “Common Ground” gibt, der von allen Seiten akzeptiert würde, gibt. Diese tragische Tatsache wird hier an drei Beispielen verdeutlicht:

1. Grundgesetz als “Common Ground”?

Hier zwei Sätze von Bundeswirtschaftsminister Habeck, die entlarvend zeigen, dass eine gemeinsamen Basis fehlt.

Der Erste vom 21. Juni 2023 im Deutschen Bundestag – er betrifft die Verfassungsgerichtsklage der CDU gegen die Schuldenfinanzierung der “Transformation” unseres Landes durch die Bundesregierung: „Wenn diese Klage erfolgreich ist, das würde Deutschland wirklich wirtschaftspolitisch hart, hart treffen. Wahrscheinlich so hart, dass wir das nicht bestehen werden.“

Dann im Deutschlandfunk: “…die Union klagt dafür, dass die Menschen in Deutschland höhere Preise bezahlen müssen, schönen Dank, Friedrich Merz.”

Was fehlt? Der Gedanke an eine gemeinsame Basis. Der Gedanke, dass es die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist, diese gemeinsamen Basis, den “Common Ground” zu definieren und dass diese Definition willkommen ist – denn nur so wird das zulässige Spielfeld abgesteckt und die Regeln darauf definiert. Mit solch einem allgemein akzeptierten “Common Ground” würden gesellschaftliche Friedensbemühungen möglich. Die Aussagen von Robert Habeck in dem Sinn: “Der böse Kläger bringt unseren schönen Plan durcheinander – und das ist nun ein ernstes Problem für alle” zeigen: es gibt – jedenfalls im Kopf von unserem Vizekanzler – keinen allgemein akzeptierten “Common Ground” in diesem Kampf.

2. Gemeinsames Menschenbild als “Common Ground”?

Ein weiteres Beispiel, diesmal aus dem Bereich des Feminismus, neben der großen “Transformation” ein weiteres Schlachtfeld im Kulturkampf: Für Feministen sind – kurz gesagt – Männer und Frauen gleich, es darf keine Unterscheide geben, der Kampf ist erst zu ende, wenn alle Unterschiede eingeebnet sind. Auf der anderen Seite würde ein Konservativer sagen: Es gibt legitime Unterschiede zwischen Frauen und Männern – und die haben Auswirkungen.

Vielleicht würde ein Vertreter der konservativen Richtung das so ausdrücken: Männer tun sich eher schwer in den Bereichen Soziales und Empathie – statt beziehungsortientierter Lösungen stellen sie oftmals lieber Sachfragen in der Vordergrund. Frauen tun sich eher schwer in Situationen, in denen mit Struktur, Regeln und Absprachen nichts mehr erreicht werden kann. Wenn es mal soweit ist, dass nur robuste Lösungen außerhalb bestehender Strukturen, Regeln und Absprachen gefunden werden müssen, stoßen Frauen eher an ihre Grenzen als Männer.

Damit ist für jemand mit eher konservativem Geschlechterverständnis klar: Im Bereich des “letzten Schreibtischs” – von dem nichts mehr weitergereicht werden kann, weil er ganz oben steht – werden mehr Männer sitzen als Frauen. Einfach weil es weniger Frauen gibt, die damit zurechtkommen. Und das nicht, weil Männer Frauen unterdrücken – sondern weil Frauen einfach anders begabt sind als Männer.

Wo ist hier “Common Ground”? Es geht ums grundlegende Menschenbild, und hier gibt es keine gemeinsame Basis, denn für die einen sind Geschlechter nur soziales (Unterdrückungs-) Konstrukt und für die anderen sind Geschlechter in ihrer Verschiedenheit auf Ergänzung angelegt. Da ist kein Raum für Kompromisse. Denn jeder Kompromiss könnte ja nur so aussehen, dass jede Seite dazu steht, dass es Räume gibt für Männer und solche für Frauen und dass im Niemandsland dazwischen, auf dem der Kampf stattfindet, nun Kompromisse ausgehandelt werden müssen, damit Frieden möglich wird.

Das macht den Kulturkampf, in dem wir uns befinden, so gefährlich: Ohne gemeinsame, von allen akzeptierte Basis fehlt der Ausgangspunkt für Frieden.

3. Nachwuchs als “Common Ground”?

Oft wird die Tragweite eines Dilemmas deutlich, wenn man Bilder in Ruhe auf sich wirken lässt: Was ist der Unterscheid zwischen den Anti-Atomwaffen Demos in Deutschland (Mutlangen) oder Großbritannien (Greenham), und den Klebedemonstranten der “Letzten Generation” heute? Hier ein typisches Bild von Damals:

Bildrechte bei: “Your Greenham”, Link hier: https://www.flickr.com/photos/greenham/424284429/in/photostream

Was ist der Unterschied von diesem Bild zu den Bildern von Klimaklebern heute und der “Letzten Generation”? Ganz einfach: Es sind heute niemals Kinder dabei. Nie. Nirgends. Es gibt einfach keine aufgeklebten Kleinen.

Wir können davon ausgehen, dass dies weniger mit Kindeswohl-Befindlichkeiten zu tun hat – es hat andere Gründe, und die liegen ganz dicht bei unserem Thema:

Bei den Demos z.B. in Mutlangen und noch viel mehr in Greenham waren immer Kinder. Tatsächlich kann man hier eindrücklich sehen, welche Rolle Kinder tatsächlich dabei spielten (einfach den Link anklicken)

https://www.flickr.com/photos/greenham/albums/72157600005005806/

Diese Kinder standen für die gemeinsame Basis beider Seiten des Konflikts: Die Gegner von Atomwaffen demonstrierten nicht nur für sich – sondern für ihre Kinder. Auf der anderen Seite dachten die Befürworter der atomaren Aufrüstung genau so: Sie empfanden sich im Kampf für eine freie Welt – für sich UND für ihre Kinder. Die Zukunft “eigener Kinder” war eine gemeinsame Basis. Nach dem Motto: “Wir wollen auch in Zukunft leben – als Väter und Mütter möchten wir, dass die nächste Generation, die von uns ausgeht, auch existieren kann.”

Heute fehlt dieser “Common Ground”. Bereits der Name sagt viel: “Letzte Generation” – und tatsächlich sind Kinder bei den Demonstranten – (hier gemeint: selbst in den Welt gesetzte Kinder) bei weitem keine Selbstverständlichkeit mehr. Fortpflanzung ist für heutige Klima-Demonstranten mindestens ein Diskussionspunkt – für viele ist es aus ökologischer Sicht mehr als bedenklich, eigene Kinder in Erwägung zu ziehen.

Damit wird dieser Krieg zum Kampf, der nur noch aus Fronten besteht, ohne dass beide Seiten sich gegenseitig ein Terrain zugestehen würden, das der jeweiligen Gegenseite rechtmäßig zugehört.

Das waren drei Beispiele für fehlenden “Common Ground” im heutigen Kulturkampf – Fehlanzeige in Sachen “gemeinsame Basis” sind: Grundgesetz, Menschenbild und Fortpflanzung.

Ich wünsche mir so sehr, dass mich jemand widerlegt: Hast Du ein Beispiel für nachhaltigen Frieden ohne die Voraussetzung eines konkreten Zugeständnisses der jeweils einen Seite an die andere? Ich würde mich ehrlich sehr dafür interessieren.

Wenn es keinen alternativen Weg gibt, würde das ununterbrochenen Kampf bedeuten. Bis zur völligen Erschöpfung aller Seiten. Hatten wir das nicht schon ein paar mal? Einmal für 30 Jahre, dann nochmal vor kurzem als “totaler Krieg”? Wer jetzt sagt: Das ist doch völlig übertrieben – dem sage ich: bitte lies diesen Blogbeitrag nochmal in der heißen Phase des amerikanischen Wahlkampfs – also nach den Sommerferien ’24. Und dann überlege: Ist das hier wirklich Übertreibung? Die Amis sind uns mal wieder ein paar Jahre voraus…

Ok, das war jetzt alles nicht besonders ermutigend. Wo könnte ein Hoffnungsschimmer herkommen? Einer der ersten Leser dieses Beitrags schrieb mir heute (04.01.24) Folgendes: “Ich habe die Hoffnung, dass durch Gespräche und Diskussionen auch immer wieder einer neuer “Common Ground” entdeckt werden oder sogar neu entstehen kann.”

Das ist es: Bei aller Wachsamkeit darauf, wo gerade die Kampflinien verlaufen und wie Du Dich persönlich darin positionieren kannst und vielleicht auch musst: Bleibe offen für Entdeckungen – oder auch Überraschungen – von Gemeinsamkeiten, die vielleicht als Basis für einen Brückenschlag dienen könnten. Und wer weiß: Vielleicht ergeben sich ja sogar Gelegenheiten, solche Gemeinsamkeiten ins Leben zu rufen – unter Umständen sogar da, wo vorher nur Abgründe oder Kippen waren? Ich kann mir vorstellen, dass der Prophet Jesaja Gott als denjenigen sah, der sich aufmacht, um uns in unserer heillosen Zerstrittenheit zu helfen, “Common Ground” für unsere Füße zu schaffen, schau gerne mal nach: Die Bibel, Jesaja 40,1-5.

In diesem Sinne ein frohes Neues Jahr!

Euer Bernd

630 000 Opfer von Ideologie?

Dieser Beitrag endet mit praktischen Ansätzen (siehe ganz unten). Wer dazu Ergänzungen hat, ist mehr als willkommen 🙂 )

630Tausend – das ist die Zahl der jungen Menschen in Deutschland, die gar nix machen. Die dauerhaft einfach rumhängen. Darunter welche mit oder ohne Schulabschluss. Aber alle ohne Ausbildung. Es sind Jungen oder Mädchen. Die einen leben vom Staat, die anderen von den Zuwendungen ihrer Eltern. Die Analysen, warum das so ist, und warum wir in Deutschland davon besonders betroffen sind, sind im vollem Gange. Doch alle Versuche, die wesentlichen Gründe zu finden, warum es so viele NEETs (Not-in-Education-Employment-or-Training) gibt, scheinen ins Leere zu laufen. Wer Englisch nicht mag – es gibt auch einen deutschen Begriff für diese über eine halbe Million junger Leute: nfQ “nicht formal Qualifizierte”.

Christina Ramb, Verwaltungsratschefin der Bundesagentur für Arbeit (BA), sieht die Gefahr, dass immer mehr Jugendliche mangels Orientierung in kompletter Inaktivität verharren könnten. 

Welche Analyse man sich auch anschaut – überall finden wir ein ähnliches Fazit: Die Gründe seien vielfältig, mögliche Lösungswege komplex und es ist weder die eine generelle Ursache noch den ein genereller Lösungsweg auszumachen. Individuelle Ansätze und Angebote wären nötig, um NEET’s oder nfQ’s aus ihrer Inaktivität zu holen.

Ein typischer Artikel in diesem Tenor ist z.B. dieser Welt-Artikel:

https://www.welt.de/politik/deutschland/plus249207980/NfQ-Das-wachsende-Heer-junger-Menschen-die-sich-von-Arbeit-fernhalten.html?cid=socialmedia.email.sharebutton

Ich werde hier tatsächlich eine Lanze dafür brechen, dass es doch einen Grundeine dominierende Ursache – für das Problem gibt.

Warum tue ich mir das an? Aus der Überzeugung heraus, dass sich die Auseinandersetzung damit zutiefst lohnt, denn das Problem ist so gravierend , dass es unserem “Geschäftsmodell Deutschland” gefährlich werden könne. Wir haben nun mal keine Bodenschätze wie Norwegen oder Kuwait, wir haben auch keine unternehmerischen Freiheitstraditionen wie die Schweiz oder USA und wir sind auch kein vernetztes globales Zentrum wie Singapur, London oder Taiwan. Statt dessen haben wir produktive, gut ausgebildete Menschen. Auf ihrem Engagement, ihrer Kreativität und ihrem Fleiß basiert unser Wohlstand, und dieser ist nun durch die NEET’s oder nfQ’s gefährdet.

Jetzt fragt ihr Euch natürlich: Was soll der eine Grund für die Inaktivität der Zukunft unseres Landes sein? Was die Ursache der Perspektivlosigkeit von über einer halben Million junger Leute – die niemand sonst erkennen kann oder sehen möchte?

Here we go:

100% aller NEET’s, die mir über den Weg gelaufen sind, haben eine Sache gemeinsam – und wenn du welche kennst, kann du ja prüfen, ob sich das mit Deiner Wahrnehmung deckt: Ihre Gemeinsamkeit ist, dass sie aus Häusern oder Wohnungen kommen, in denen Schlafen, Essen und Erholen praktiziert wurde – und ansonsten sehr wenig. Es sind Häuser ohne Werkstatt, ohne Kreativ-Schuppen, ohne einen Garten zur Ernährung der Familie, ohne Motorsäge und Spalthammer, ohne Kaminofen, Schlachtraum — oder irgendetwas, das in Sachen Lebenspraxis, Eigenständigkeit oder Unabhängigkeit über einen Rasenmäher und eine Heckenschere hinausgehen würde.

Damit soll keinesfalls ausgesagt werden, dass alle Kinder, die in solchen Häusern aufwachsen, zu NEET’s werden müssen, oder auch nur eine große Wahrscheinlichkeit aufweisen, in Inaktivität zu verfallen. Tatsächlich kenne ich viele junge Menschen, die aus solchen Haushalten kommen und zu fröhlichen, produktiven und sinnerfüllten Mitgliedern der Gesellschaft wurden – oder dabei sind es zu werden.

Und dennoch ist es so, dass tatsächlich alle NEET’s, die mir bekannt sind, aus dem erwähnten Umfeld kommen.

Und der Umkehrschluss funktioniert genauso: Familien, in denen handwerkliche Fähigkeiten im direkten Umfeld des häuslichen Lebens eingeübt werden bringen nach meiner Beobachtung keinen einzigen NEET hervor. Dabei meine ich mit “Einüben” das praktizieren lebenspraktischer Arbeiten in Verbindung mit einem Bewusstsein von Verantwortung fürs eigene Leben und für das eigene Wohlergehen durch persönliches Engagement und Eigentum. Ob dies dann mit oder ohne Schulabschluss, ausgebildet oder nicht geschieht – jeder, der aus einem Selbermacher-Umfeld mit Verantwortung fürs eigene Leben und für die eigenen Ressourcen kommt, macht irgendwas, um sich selbst über Wasser zu halten – gelernt oder ungelernt, effektiv oder weniger effektiv.

Also: 100% der NEET’s kommen aus Schlaf/Esssen/Erholungs-Wohnungen/Häusern, 0% kommen aus Familien, in denen zwischen Leben und Broterwerb in Verbindung mit einer klaren Sicht für Verantwortung und Eigentum ein natürlicher, klarer, örtlicher und logisch erfassbarer Zusammenhang gelebt und anerzogen wurde.

Jetzt kannst du selbst prüfen: Wie sieht das in deinem Umfeld aus? Ist diese Beobachtung für dich nachvollziehbar?

Demnach stellt dich die Sachlage folgendermaßen dar: Der Mensch ist einfach nicht dazu gemacht, in einem ‘neutralen’ Raum aufzuwachsen, der nur als Essen, Schlafen und Wohnen besteht. Es ist nicht leicht für jeden jungen Menschen, in einem solchen Umfeld einen motivierenden oder begeisternden Startblock für sinnerfülltes (Erwerbs-) Leben zu erkennen. Und es reicht offensichtlich auch nicht, die nötigen Anstösse dann künstlich als kleine, wohldosierte Häppchen vorgesetzt zu bekommen: In Form eines Schulpraktikums, eine Schulgartens oder einer Sozial- oder Vereinsinitiative. Auch eine Orientierungsreise nach erfolgreichem Schulabschluss ist solch ein Happen – wie viele junge Leute kommen zurück aus ihrem Work-und-Travel-Aufenthalt und sind genauso orientierungs- und perspektivlos wie zuvor?

Sicher sind die “Häppchen” besser als gar nix – doch kein Ersatz fürs reale Leben. Das “echte Leben” besteht aus wirklichen Begegnungen mit realen Zusammenhängen – die zu spürbaren Konsequenzen führen – und diese Prozesse finden am effektivsten in Verbindung mit Eigentum und Verantwortung statt.

Das soll an einem schlichten und vielleicht etwas skurrilen Beispiel deutlich werden: Wir haben bei uns am Ort eine recht große Grundschule – mit einem völlig verwahrlosten, verunkrauteten Schulgarten. Was bedeutet dieses Stück Land im Zusammenhang des realen Lebens? Die Antwort ist: NICHTS – und das ist das Problem.

Gehen wir ins Detail: Gibt es einen einzigen Lehrer oder ein einziges Kind, das auch nur ein Blatt weniger knackigen Salat oder nur eine gesunde Mohrrübe weniger konsumieren kann, wenn der Schulgarten verwahrlost liegen bleibt? Nein. Es hat NULL – ZERO spürbare Konsequenz, ob dieser bearbeitet wird oder verwahrlost. Die einzig überhaupt denkbare Konsequenz ist vielleicht ein Tagesordnungspunkt auf dem Zettel der Lehrerkonferenz fürs neue Schuljahr. Was für ein kranker Lerneffekt für Lehrer und erst recht für Schüler. Sie lernen, bewusst oder unbewusst: Es ist völlig bedeutungslos, wem dieser Garten gehört, wer Verantwortung dafür trägt und ob dieser Garten bewirtschaftet wird oder verwahrlost – das Essen kommt woanders her, wird woanders bezahlt und wird woanders zubereitet. Und alle bekommen es sowieso. Es hat nichts, aber auch gar nichts mit diesem Garten oder meinem Engagement darin zu tun.” Wahrscheinlich sogar mit der Steigerung: “…mir gebührt schon Dank und Anerkennung dafür, dass ich die Leistung erbringe, überhaupt gesundes Zeug zu essen.”

Natürlich soll damit nicht gesagt werden, dass Kinder in Schulen hungern sollten, wenn der Schulgarten mal nichts abwirft. Die Aussage, um die es geht, ist eine andere: Wie viele Elemente wie dieses vernebeln in unserer westlichen Welt auf sträfliche Weise die entscheidenden Zusammenhänge – und stiften so unsere Heranwachsenden dazu an, gedankenlos in einer beliebigen realitätsfernen Blase zu leben und am Ende gar nichts mehr zu machen?

Jetzt könnte man natürlich sagen: ok, das ist ein Punkt – aber was daran ist daran Ideologie – warum diese Überschrift?

Tatsächlich ist die Idee, Arbeits- und Erwerbsleben und Wohnen/Erholen so strikt voneinander zu trennen, dass es sogar ordnungsrechtlich vorgeschrieben wird (Wohngebiet/Gewerbegebiet) nicht geschichtlich gewachsen. Es ist auch keine natürliche Entwicklung, die zu diesem Ergebnis geführt hat – es handelt sich um eine westliche Ideologie, die an anderen Kulturen, z.B. im globalen Süden, nicht besonders verbreitet ist.

Die Ideologie der strikten Trennung von Arbeits- und Wohnumfeld hat zwei Stränge: Einmal der aus Amerika herübergeschwappte Traum der suburbanen Vorstadtvilla (verbunden mit Namen wie Harriet und Catharine Beecher, John P. Dean oder Svend Reimer) und zum zweiten der sozialistische Traum aus Schweden, der uns Wohnblöcke in Verbindung mit gemeinschaftlich nutzbaren Anlagen für die Freizeit beschert hat (verbunden mit Namen wie Alva und Gunnar Myrdal und Sven Markelius). Obwohl diese beiden Stränge extrem unterschiedlich sind, haben sie diese eine Gemeinsamkeit: Beide trennen das Leben künstlich auf. In Wohnen und Arbeiten. In eine Schlaf, Erholungs- und Essenssphäre einerseits und in eine weit entfernte Sphäre der Erwerbstätigkeit andrerseits. Und diese Aufspaltung führt in der zweiten Generation dazu, dass immer mehr junge Menschen nur noch eine Sphäre kennenlernen – und das ist nicht die der Arbeitswelt. Natürlich könnte man sagen, dass es sich einfach um Konsequenzen der industriellen Revolution handelt – Arbeit findet halt seitdem woanders statt. Aber das wäre zu kurz gegriffen, denn es erklärt nicht das ordnungspolitische, steife Festzurren der unterschiedlichen Sphären in der Folge.

Wie sehr diese Trennung schon in unsere Köpfe gekrochen ist, zeigt folgendes Beispiel eines Lehrers an einer dieser Schulen, die Jugendliche, die eigentlich mit der Regelschule schon fertig sind, an das Berufsleben heranführen sollen. Es ist eine wahre Begebenheit: Ich fragte diesen Lehrer, wie oft er mit seiner Klasse in Betriebe gehen würde? Die Antwort: “Gar nicht mehr! Es ist einfach zu aufwändig, all die Zettel und nötigen Versicherungsbelege auszufüllen – für einen einzigen Besuch in einem Betrieb – deshalb hab ich das jetzt ganz eingestellt!”

Wie krank ist ein System, das einen Lehrer eines Berufskollegs durch Bürokratie davon abhält, mit der Klasse in Betriebe zu gehen? Gesund wäre, ihn Zettel und Belege für jeden Tag ausfüllen zu lassen, an dem er mit seiner Klasse NICHT in einem Betrieb ist – und er müsste eine Gehaltserhöhung bekommen, für jeden Schüler, der nach dem Besuch im Betrieb gar nicht mehr mitkommt in die Schule, weil er direkt dort im Betrieb hängengeblieben ist. Was könnte aus so einem Jugendlichen werden, wenn das möglich wäre?

Aber so können wir nicht mehr denken – die oben beschriebene Trennung wurde so sehr in unsere Köpfe eingefräst, dass es wohlüberlegter Schritte und ausgeklügelter Formalien bedarf, von einer Sphäre in die andere zu wechseln. Wir leben eine Ideologie und merken es nichtmal mehr!

Allerdings gibt es ein paar Hoffnungsschimmer: Seit der Corona-Pandemie leben mehr Menschen durch die Möglichkeit des Home-Office eine ganzheitlicheren Ansatz. Aber mehr ist denkbar, hier ein paar Tipps;

  • Wer überlegt, mit Kindern seinen Wohnort zu wechseln: Wähle, wenn Du kannst, kein reines Wohngebiet, ziehe besser in ein Mischgebiet, in dem mehr möglich ist. Gönne Deinen Kindern das Großwerden in einem ganzheitlicheren Kontext.
  • Du planst, Anzubauen? Plane je nach Deiner Neigung die Garage oder den Anbau grösser und füge eine Werkstatt oder eine Profi-Küche hinzu. Gerne mit einem professionellen Ansatz. Hab keine Angst vor Hygieneregeln: Viele Restaurants haben schrecklich kleine Küchen, und können die Vorgaben des Gesundheitsamtes trotzdem einhalten. Wenn man von vornherein damit plant, ist es nicht so teuer und klappt auch in beengten Verhältnissen. Dann kannst Du im Herbst losziehen und mit Deinen Kindern Hagebutten sammeln, lecker Marmelade kochen und verkaufen. Für die Kleinen vielleicht ihre erste Berührung mit dem Erwerbsleben!
  • Für weitere praktische Vorschläge von meinen Lesern ist hier der Platz, bitte meldet Euch, wenn Ihr gute Ideen habt… …und hier schon die erste super Idee – so einfach, so überraschend – und eine echte Möglichkeit, die oben beschriebene Trennung zu überwinden:
  • Hallo Bernd, dein Blog wirkt fundiert. Ich denke auch, dass ein Mensch, der ohne eigene Verantwortungsbereiche und damit ohne Selbstwirksamkeit aufwächst, es sehr schwer hat eines Tages Freude und Befriedigung an Arbeit zu finden. Eine Hilfe auf diesem Weg sind übrigens auch die Hausaufgaben, die durch die Schule bereitgestellt werden. Wir haben einige Kinder, die nur in einer kleinen Wohnung aufwachsen, aber ihre Schulaufgaben als wichtige Arbeit betrachten. Wenn sie erleben, wie ihre Noten durch ihren Fleiß besser werden, wächst ihre Motivation weiter zu machen. Solche Kinder werden ziemlich sicher einmal eine gute Ausbildung anstreben. Es gibt immer wieder Diskussionen um Hausaufgaben. Viele würden sie gerne ganz abschaffen. Aus meiner Sicht wiederholen die Kinder dadurch nicht nur ihren Lernstoff, sondern sie lernen auch Verantwortung für ihr Weiterkommen zu übernehmen…

Noch ein Kommentar:

“Hallo Bernd, steile These, die du da in deinem Blog aufstellst. Aber durchaus beachtenswert. Interessant dazu ist auch, dass die Generation Z ja nicht mehr die Work-Life Balance auf der Agenda hat, sondern die Work-Life Separation (laut Prof. Dr. Christian Scholz von der Universität Saarland)
Liebe Grüße und kommt gut ins Neue Jahr.”