Hier in Guatemala kostet ein BigMac um die 3,70€/$ , er ist damit etwas günstiger als in Deutschland. Vor jeder McDonalds-Filiale hier steht ein Wachmann mit einer Schrotflinte (Shotgun). Er verdient im Monat, wenn er gut bezahlt ist, 500$, bei schlechter Bezahlung 350. Davon zahlt er evtl. Miete, in jedem Fall ernährt er seine Familie und manchmal noch seine betagten Eltern. Er wird sich niemals einen BigMac leisten können. Sogar ein Päckchen Butter, die hier mindestens so viel kostet wie in Deutschland, eher mehr, ist für ihn unerschwinglich. Dennoch steht solch ein Wachmann geduldig vor jedem Fast-Food-Anbieter, egal ob Taco Bell, Burger King oder halt Mäckes. Bei Tag und Nacht, also in Schichtarbeit. Dazu an jeder Tankstelle – und überhaupt überall, wo Bargeldkassen sind. Es soll noch nie passiert sein, dass solche Wachleute rebelliert haben oder den Laden ausgeraubt haben, von dem sie angeheuert wurden. Streiks kommen praktisch nie vor.


Was will ich damit sagen? Keinesfalls, dass ich diese Umstände gut finde. Auch nicht, dass mich das Los dieser armen Leute kalt lässt. Um diese Fragen geht es an dieser Stelle nicht. Ich möchte unsere Aufmerksamkeit gerne auf ein Detail lenken, das leicht übersehen wird – aber das immense Auswirkungen hat – auch auf unser eigenes Leben mitten in Europa: Die Fähigkeit, Leiden auszuhalten.
Denn wenn Guatemalteken eines können, ist es dies: Ihr Schicksal – egal ob selbst eingebrockt, unverschuldet oder irgendwie reingeschlittert – anzunehmen und dann in der Situation das Beste aus allem zu machen, das mit den gegebenen Möglichkeiten halt drin ist. Ohne zu verbittern, zu verzweifeln oder durchzudrehen. Heute hatten wir die Chance, einen Blick in die Küche dieser lieben Menschen zu werfen:

Der schräge Stein der Mitte ist übrigens die Unterlage der Küchenmühle. Mit einem weiteren Stein werden darauf Körner, z.B. Mais zermahlen, das fertige Mehl rutscht dann runter, deshalb die Schräge.
So bescheiden das auch wirkt, schauen diese Menschen nicht nur auf ihren Vorteil, sondern pflegen – egal wie arm sie sind, mitten im Elend einen bestimmten Lebensstil – nämlich der, der ihnen taugt. So lieben sie hier z.B. ihre Straßenhunde. Die dürfen sein und werden gefüttert. Autos umfahren sie sorgsam. Obwohl es so viele sind, fühlt sich keiner genervt – sie gehören einfach dazu. Natürlich würde niemand einen Straßenhund zum Tierarzt bringen oder gar für eine Sterilisation bezahlen. Aber Essen, Wasser und Respekt gibt es für sie. Mitten unter den Ärmsten der Armen. Es wirkt, wie wenn die Leute hier ihr Leid und ihre Leidensfähigkeit mit diesen Kötern teilen.
Und jetzt kommt die entscheidende Frage, über die es sich lohnt nachzudenken: Kann es sein, dann unser Mangel an Leidensfähigkeit im Westen und Norden des Globus uns unterlegen macht gegenüber Kulturen, die viel mehr Leiden ertragen können? Kann es sein, dass wir schon bei drohenden Entbehrungen viel zu schnell einknicken, weil wir viel zu bequem geworden sind?
Es gibt in unserer unmittelbaren Umgebung eine Nation, die ebenso gut leiden kann wie die Guatemalteken – vielleicht sogar noch besser: Die Russen. Seit Beginn ihrer Offensive in der Ukraine haben sie je nach Schätzung zwischen 200 000 und 250 000 Soldaten verloren. Und es gibt kaum Proteste, kaum Streiks und schon gar keine Revolte. Zum Vergleich: Im gesamten Afghanistan-Krieg verloren insgesamt 60 deutsche Soldaten ihr Leben (35 davon durch Fremdeinwirkung) – und das erschien uns als Blutzoll bereits viel zu viel. Die Russen sind uns in Punkto Leidensfähigkeit haushoch überlegen.
Auch an dieser Stelle bitte ich, nicht missverstanden zu werden: Jeder Blutzoll ist immer zu hoch und oftmals unnötig und vermeidbar. Jede Familie, die einen Menschen auf brutale Weise verliert, ist für immer gezeichnet. Darüber wurde schon viel geschrieben. Hier geht es heute um etwas anderes:
Bis vor kurzem spielte das Element der Leidensfähigkeit in den Lagebeurteilungen dieser Welt kaum eine Rolle. Wir haben nur Statistiken über Finanzmittel, Waffensysteme, Wirtschaftsdaten und die Anzahl der Soldaten gesehen. Tatsächlich könnte die Frage nach der Leidensfähigkeit kriegsentscheidend sein – denn wer am längsten durchhält, könnte auch dann gewinnen, wenn die Gegner auf anderen Bereichen zwar besser aufgestellt, aber weniger Leidensfähig sind und keine Entbehrungen mehr ertragen können.
Machen wir das an einem ganz konkreten Gedankenexperiment fest: Was würde geschehen, wenn die Russen Lettland angreifen, wir unserer NATO-Beistandsverpflichtung nachkommen würden und die ersten 1000 deutschen Soldaten kämen tatsächlich in Leichensäcken nach Hause? Welche Partei wird wohl zuerst nach Frieden schreien – auch wenn das bedeuten würde, Lettland aufzugeben? Und dann Estland, Litauen und Polen? Nach Polen wäre dann folgende Frage ebenso tragisch und spannend: Wie viele Tote wäre uns wohl die Freiheit Brandenburgs wert? Dieses Szenario ist nicht besonders weit hergeholt – Millionen Menschen – z.B. in Kiew – stellen sich seit Jahren jeden Tag genau diese Fragen.
Ich finde es gut, dass nun angefangen wird, ernsthaft über die Frage der Leidensfähigkeit nachzudenken. Simon Kuper, der Journalist, nennt es das Rocky-Prinzip: Wer die größte Leidensfähigkeit hat, siegt am Ende. Dieses Thema zieht sich durch alle Rocky-Filme und findet seinen Höhepunkt in “Rocky II” von 1979: Blutüberströmt und mit zugeschwollenen Augen steht Rocky nochmal auf, als der Ringrichter beim Auszählen bei “9” ankommt – und gewinnt so den entscheidenden Kampf. Es stimmt einfach in vielfacher Hinsicht: Wer die größte Leidensfähigkeit hat, gewinnt am Ende.
Entbehrungen ertragen zu können – also Leidensfähigkeit – ist eine entscheidende Zutat zum Sieg auf vielen Bereichen. Auch im ganz kleinen, unspektakulären Alltag. Oft ist sie nötig, um eine Lehre erfolgreich abzuschließen, eine begehrte Lizenz, z.B. den Führerschein zu erwerben oder um den Wunsch nach Immobilienbesitz Wirklichkeit werden zu lassen. Eine Ehe in schwierigen Zeiten auszuhalten oder Teenager in ihren schlimmsten Phasen liebevoll zu erziehen.
Von unseren vier Kindern haben alle mittlerweile unser Haus verlassen. Sie gehen ihren Weg in dem Sinn, dass jedes seine Ausbildung abgeschlossen hat, einen Job samt Auskommen ausübt, Perspektiven für die Zukunft entwickelt — und erlebt, wie sich erste spannende Freiräume für sich künftig bietende Chancen und Möglichkeiten auftun. Für mich ist das bereits ein gewisser “Bruterfolg” – jedoch einer, der ohne angelernte Leidensfähigkeit mit Sicherheit nicht so eingetreten wäre.
Nur ein Beispiel: Unsere Kinder mussten über Jahre mithelfen, Knickholz für den Ofen zu machen. Im Winter, auf freiem Feld. Erst bei 1,5m³ pro Einsatz wurde Schluss gemacht – auch bei Minusgraden. Vor dem dadurch eingesparten Heizgeld haben wir irgendwann einen “Wolf” gekauft (militärische Ausführung der G-Klasse), und alle Kinder konnten auf den Feldern den sicheren Umgang mit diesem Gerät erlernen. Unter den härtesten Bedingungen. Die lieben Kleinen wurden nicht in Watte gepackt – jeder von ihnen hatte die Möglichkeit, eine gewisse Leidensfähigkeit unter echten Bedingungen einzuüben. Heute sind sie – ob in Studium oder handwerklicher Lehre, ob im Job oder in ihren Beziehungen – jeder auf seine ganz eigene Art irgendwie Sieger!
Hier kommt nun die persönliche Anwendung des bisher Gelernten (falls du das noch liest und nicht längst weitergeklickt hast :-). Bitte überlege für dich selbst folgende Fragen:
- Wo packe ich mich selbst in Watte — obwohl ich Leiden oder Entbehrungen ertragen sollte?
- Wo packe ich andere in Watte, obwohl ich ihm/ihr oder ihnen Leiden oder Entbehrungen zumuten sollte? Wer ist das? Auf welchen Bereichen?
- Wo sind durch ungute Leidensvermeidung ungesunde Abhängigkeiten oder Beziehungsgeflechte entstanden, die es in meinem Leben nicht geben sollte?
- Welcher kleine Schritt würde mich ein wenig aus der Komfortzone herausholen und meine Leidensfähigkeit auf die Probe stellen bzw. “stretchen”?
Der letzte Punkt kann alles sein – vom Erwerb eines Schwimmabzeichens bis zum verbindlichen Besuch einer Selbsthilfegruppe der “Anonymen …” für z.B. drei Monate. Oder vielleicht solltest zu jemandem erlauben, mal ein Jahr lang ganz frei und ohne Rücksicht in dein Leben hinein sprechen zu dürfen? Es gibt unzählige Möglichkeiten, die Watte, in die man sich selbst gepackt hat, ein bisschen auszudünnen und die eigene Leidensfähigkeit zu “stetchen”. Aus christlicher Sicht ist eine Fastenzeit dafür auch ganz gut geeignet. Nicht jeder muss gleich für ein Jahr bei der Bunderwehr anheuern – obwohl das für eine einen oder anderen sicher auch eine super Option ist.
Um nochmal von uns weg über den Tellerrand zu blicken: Wenn die Leidensfähigkeit der Menschen, wie ich sie hier erlebe, wirklich ein Schlüssel zum siegreichen Bestehen auch im Kampf mit anderen, feindlich gesinnten Kulturen ist, dann wird es Guatemalteken noch sehr lange geben – stand heute wahrscheinlich wesentlich länger als Deutsche, Holländer oder Franzosen. Aber wer weiß, vielleicht gerät da jetzt auch bei uns etwas in Bewegung?
Lieber Leser, hier werden recht steile Thesen vertreten – sicher tüchtig Stoff zum Nachdenken – entsprechend würde ich mich über Feed-Back zu diesem Thema sehr freuen – das hilft dann bei weiterdenken 🙂
Lieben Gruß aus Guatemala,
Dein Bernd
Moin Bernd,
danke für deine Gedankenanstöße, die unter die Haut gehen.
Als ich vor 11 Jahren bei Freunden von JMEM in Rumänien bei einem Baueinsatz mithelfen durfte, habe ich auch eine ähnliche Lebenseinstellung vorgefunden, besonders bei Sinti & Roma* gegenüber den Einheimischen (Siebenbürgen). Es war Ihnen kein Problem zu betteln oder, das der Regen durch Ihre Einraumwhg. floss.
Unsere Freunde helfen den *Vergessenen mit schulischer Bildung bei Kindern und dann auch sozialer Kompetenz den Umgang in der Gesellschaft näher bringen, die sonst in ihren Siedlungen so weiterleben,
Ich bin erstaunt gewesen, wenn diese Eltern Ihren Kinder helfen, diese (Vater & Sohn) dann auch auf einmal hier in Stadum in der Kaserne beim Hallenbau helfen können.
Der Vater wollte für seine Familie ein Haus kaufen, doch konnte die Summe (35.ooo€) nicht aufbringen. Aber er blieb dran. Ich weis jetzt nicht, ob er es hinbekommen hat!?
Aber, wer mutig ist und etwas wagt, sein Leben eine Veränderung erfährt, weil Offenheit für Neues da ist!
…und das ist hier bei uns zu selten im Focus!
Ich leide innerlich und bete weiter, das wenn es Menschen im Umfeld durch plötzliche Einschränkungen nicht mehr schaffen, an der Gemeinschaft teilzunehmen, oder unsere Kleinsten in der Sonntagschule keine mitreißendes Bild unseres Herrn und Glauben vorgelebt zu bekommen, eher nur aus Aufbewahrungszeit veranstaltet wird! Traurig oder
mit besten Grüßen aus W-feld