Zeitbomben heranzüchten?

(aktualisiert und überarbeitet am 25.11.)

Wir erleben in viele Stellen die massive Auflösung von ziemlich allem, was wert und teuer war. So gibt es mittlerweile in Deutschland 185 Professuren, die sich mit Genderfragen beschäftigen. Übergreifender Konsens dieser Professor*innen: Es gibt kein biologisches Geschlecht, Geschlechtlichkeit ist lediglich soziale Zuschreibung. Das verändert unsere Gesellschaft. Dazu kommt: Ehe und Familie im Sinne von Vater, Mutter und leibliche Kinder der beiden zusammen befinden sich schon seit vielen Jahren in Auflösung – die Gesellschaft “atomisiert” sich. Aber es geht nicht nur um solch “traditionelle Werte” – sondern auch um ganz handfeste Träume, die für viele in unerreichbare Ferne rücken: Der Traum vom eigenen Nest im Sinne eines Eigenheims, in dem die Menschen die man liebt, um einen Tisch sitzen und gemeinsam Leben gestalten – im Sinne von “My home is my castle” – wird immer schwieriger zu verwirklichen, weil Immobilien- und Bodenpreise explodieren und die Behörden mit immer teureren Auflagen die Preise in unerschwingliche Höhen treiben.

Das sind nur einige Beispiele dafür, wie solche Dinge, für die es sich früher zu leben lohnte, heute nicht mehr existieren bzw. nich mehr verwirklicht werden können oder neu definiert werden müssen. Nun könnte man sagen: “Na ja, dieser alte Traum eines Jungen, zum Mann zu werden, eine Ehefrau zu finden, Familie zu gründen und ein Eigenheim zu haben, um dort glücklich zu leben, ist halt in dieser Form nicht mehr ohne weiteres haltbar. Dafür hat heute jeder die Freiheit, eben andere Träume zu leben und sich auf neuen Feldern völlig anders zu erfinden – vielfältiger, bunter, queerer, ohne toxische Männlichkeit und ökologisch und politisch viel korrekter.”

Diese Denkweise ist ein Trugschluss – und gerne möchte ich hier belegen, warum dieser Weg ein Irrweg ist und zum Nachdenken über Lösungen anregen:

Jeder Mensch ist dazu geschaffen, irgendein Ideal oder ein Ziel zu verfolgen. In der Vergangenheit waren es vorgefertigte Ziele, wie z.B. “Werde ein Mann, finde die passende Frau, gründe eine Famile, baue ein Haus”. Diese Ziele waren realistisch, man konnte sie verfolgen – aber man konnte sich auch an ihnen reiben, sie verwerfen und sich andere Ziele suchen. Aber das war dann – zumindest innerlich – für sich zu entscheiden und zu begründen.

Diese Begründung fällt nun zusehens weg, wenn suggeriert wird: alles ist möglich und nichts ist “normal”. Was ist die Konsequenz? Der Mensch sucht sich irgendein Ziel aus einer unglaublich breiten Palette von schier unbegrenzten Möglichkeiten und setzt alles darauf. Es gibt aber niemand, der die Erreichung bereits erfolgreich vorgemacht hat – d.h. es handelt sich selten um “erprobte” Lebensziele – schon gar nicht bewährt im Sinne mehrerer Generationen. Die Wahrscheinichkeit, sie erfolgreich umzusetzen und darin nachhaltig glücklich zu werden ist entsprechend gering. Dazu kommt – und das ist nun neu: Sollte sich die Zielerreichung tatsächlich als unmöglich herausstellen, oder sollte sich erweisen, dass die Erreichung nicht zum gewünschten Lebensglück führt, gibt es nichts mehr worauf man “zurückfallen” könnte. Man steht alleine im Regen.

Um nochmal den Gegensatz zu früher zu betrachten, könnte man gut das Gleichnis vom verlorenen Sohn heranziehen: Er entscheid sich bewußt für einen alternativen Lebensstil, der ihm auch gegönnt wurde – aber als sich sein Lebensentwurf als nicht tragfähig erwies, hatte er etwas, wohin er zurück konnte. Das rettete ihn.

Verfolgen wir als Gesellschaft den progessiv-liberalen Weg weiter, auf dem es dann immer weniger gibt, auf das man sich “zurückbesinnen” oder auf das man “zurückfallen” könnte, produzieren wir Menschen, die im Grunde ein Stückweit auf dem gleichen Stand sind wie “unbegleitete minderjährige Flüchtlinge”: Sie setzen alles auf eine Karte, es gibt nichts, worauf sie im Falle des Misserfolgs zurückfallen könnten – ausser vielleicht die Daseinsfürsoge des Wohlfahrtstaates. Wenn so eine Persönlichkeit gründlich scheitert, ist es nur ein relativ kleiner Schritt zu “burn it all” – nämlich aus Frust und Enttäuschung zerstörerisch um sich zu schlagen – aus welchen ideologischen Hintergrund auch immer das dann im einzelnen geschieht (Extrem Links, Rechts, Islamistisch, Ökologisch, LGBTQI+, Genderbewegt, QAnon, …). Dies ist keine pessimistische Vorhersage, sondern Realität in Deutschland und Europa.

Mit anderen Worten: Das System unseres sozialen Zusammenlebens wurde auf der Annahme des normativen Verhaltens seiner Beteiligten errichtet – es ist so stabil, dass es “Aussteiger” erträgt – sogar viele – aber völlig ohne die “Annahme normativen Verhaltens” kann es auf Dauer nicht funktionieren. Manchmal bringen Politiker das sogar wörtlich auf den Punkt. So wird von Adenauer kolportiert, dass er auf die Frage, ob man in die Konstruktion der deutschen Rentenversicherung nicht besser ein Element einbauen sollte, das auf Familien mit Kindern als nötige Säule abzielt, geantwortet hätte: “Ach was, Kinder bekommen die Leute doch immer!”. Natürlich wusste auch Adenauer, dass es sehr wohl kinderlose Menschen gibt. Aber das kann ein stabiles Sozialsystem gut tragen. Somit ist dies ein gutes Beispiel dafür, dass unser Zusammenleben tatsächlich “auf der Annahme des normativen Verhaltens seiner Beteiligten” – jedoch ohne totalitär zu sein – aufgebaut ist.

Zurück zum Punkt: Wenn es diese “Annahme normativen Verhaltens” als allgemeinen Konsens nicht mehr gibt, kann es uns passieren, dass wir Zeitbomben heranzüchten. Menschen, die, wenn sie mit ihrem individullen Lebenskonzept gescheitert sind, praktisch nichts mehr zu verlieren haben – weil es nichts von wert gibt, worauf sie zurückgreifen könnten. Natürlich ist das ziemlich schwarz gemalt – klar kann sich jemand berappeln und sich neue Ziele suchen und sich selbst immer nochmal von neuem erfinden. Doch jedesmal wird die Kraft weniger, jedesmal nimmt der Frust zu – und irgendwann ist Hoffnung und der Optimismus dahin. Und dann bleibt gar nichts.

Aber es gibt Hoffnung – die Aussicht muss nicht so pessimistisch bleiben:

Wir sind gerade als Familie dabei, junge Erwachsene in Leben “loszulassen”. Dabei haben sie jede Freiheit – aber gleichzeitig bieten meine Frau und ich ihnen durch unser Vorleben ein Lebenskonzept an, auf das sie gerne “zurückfallen” können, wenn andere Ideen scheitern. Wir leben eine Ehe mit allen Herausforderungen, Steit und Versöhnung, Reibung und Harmonie. Wir bieten ein Zuhause, und trachten danach, dass Kinder, die Wegziehen, bei uns irgendwie noch ein Kämmerchen haben, zu dem sie zurückkehren können. Wir besuchen Sonntags einen Gottesdienst und Beten zum Essen. Wir achten auf Events, bei denen möglichst alle um den Tisch sitzen – das ist ofmals der Brunch am Samstag. Wir planen unsere Ferien so, dass unsere erwachsenen Kinder auf Wunsch locker “andocken” können, ohne die überzogene Erwartung, dass sie volle drei Wochen mit uns urlauben.

All dies ist für uns keine lästige “Pflicht”, sondern macht auch noch Freude. Doch im Hintergrund schwingt ein sehr ernstes Anliegen mit: Unsere Kinder sollen einen nachhaltigen Lebensentwurf vorgelebt bekommen, der sich auch und gerade dann, wenn man ihn erstmal nicht so leben möchte, dafür anbietet, dass man auf ihn zurückfallen kann, wenn anderes scheitert. Und das in grosser Freiheit. Und wir tun viel dafür, dass dieser Lebensentwurf dasteht wie eine Säule. Weil er das ist: stabil und nun bereits über mehrere Generationen bewährt.

Für mich wäre es eine grosse Freude, wenn diese Einordnung der aktuellen Lage mit den Konsequenzen, die wir daraus ziehen, für die eine oder andere Familie inspirierend wirkt – und Lust weckt, ohne zwanghaften Krampf und Sorge auch in solcher Freiheit Akzente zu setzen!

Liebe Grüsse

Euer Bernd

P.S. Die grundlegenden Gedanken dieses Blogbeitrags wurden von folgendem Referat inspiriert: “Liberalism and Its Discontents, The challenges from the left and the right”. Der Autor, Francis Fukuyama ist nicht jemand, der als besonders Konservativ gilt – gerade deshalb hat mich seine Erkenntnis sehr inspiriert und zum Nachdenken gebracht (siehe vor allem das letzte Viertel seiner Ausführung – einfach auf den Namen klicken).

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