Genesis-Projekt Teil 12 Full Version: Freier Wille und eigene Verantwortung

Vorbemerkung: Man kann diese Ausführungen einfach weglassen und gerne direkt die aktuelle Folge des Genesis-Projekts erleben – dann einfach runterscrollen und anklicken.

Diese Folge enthält ein kontroverses Thema – es geht nämlich um die Frage, inwieweit der Mensch wirklich einen freien Willen hat. Und zwar auch gegenüber Gott. Oder ob Gottes Vorauswissen unserer Entscheidungen uns nur das Gefühl gibt, echte Entscheidungen treffen zu können, obwohl diese in Wirklichkeit schon feststehen bzw. längst bekannt sind.

Ich würde Dich und Euch gerne dafür gewinnen, dass wir unter einem “offenen Himmel” leben, indem wir tatsächlich freie Entscheidungen treffen können, für die wir dann auch voll selbst verantwortlich sind. Für alle, die mehr darüber wissen möchten, hier die etwas ausführlichere Begründung für diese Sicht:

Wichtig ist allerdings eine weitere Vorbemerkung: Das hiermit behandelte Thema findet Ihr in keinem der “kurzen” Glaubensbekenntnisse – also in keinem von denen, die hinten im Gesangbuch der Kirchen abgedruckt sind, damit man sie gemeinsam sprechen kann. Das ist bedeutungsvoll, denn das sagt aus, dass die Kirche durch zwei Jahrtausende dieser Fragestellung eine eher untergeordnete Bedeutung zugemessen hat. Was jetzt kommt ist also weder heilsentscheidend noch macht es uns irgendwie besser vor Gott. Wir können also ganz entspannt unterschiedlicher Meinung sein 🙂

Damit kann es jetzt losgehen;

Wenn Gott in Genesis 22,12 zu Abraham sagt: “Strecke Deine Hand nicht aus gegen den Knaben und tu ihm nichts, denn NUN weiß ich, dass du gottesfürchtig bist, da du mir deinen Sohn, deinen einzigen, nicht vorenthalten hast” dann nehme ich dieses Bibelwort so, wie es hier steht: Gott hat Abraham einer Prüfung unterzogen und wusste vor dem Ausgang dieser Prüfung nicht, wie Abraham sich entscheiden würde, da er Abraham – wie jeden Menschen – mit einem echten freien Willen ausgestattet hat. Aber “nun” weiß Gott Bescheid.

Wer an präzises Voherherwissen Gottes in allen Belangen – auch unseren Entscheidungen – glaubt, muss diesen Satz verbiegen, um seine Theologie aufrecht erhalten zu können. Es gibt dazu interessante “Verbiegemechanismen”, die das bewerkstelligen – ich nenne mal die beiden Wichtigsten:

  • Es ging bei dieser Begebenheit gar nicht so sehr um Gott, sondern mehr um Abraham – Gott wollte in Wirklichkeit dem Abraham zeigen, wie es um dessen eigenes Herz steht.
  • Gott ist nicht nur “in” der Situation, sondern weil er Gott ist, steht er außerhalb unseres Zeit/Raum Kontinuums und schaut sozusagen aus einer anderen Dimension auf unsere Zeitschiene, wie wir sie erleben. Schaut Gott auf eine Situation aus unserer Perspektive, weiß er vielleicht nicht alles im Voraus – schaut er aber aus der Gottesperspektive, sieht er Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wie ein offenes Buch vor sich und weiß alles – auch wir wir uns entscheiden werden. In dem zitierten Satz schaut er vermutlich gerade aus unserer menschlichen Perspektive auf die Reaktion Abrahams auf die Situation.

Zum Ersten: Wenn es vor allem um Selbsterkenntnis Abrahams geht, warum steht das nicht da? Für biblische Autoren ist Selbsterkenntnis an vielen Stellen ein wichtiges Thema – sie können das gut klar und treffend beschreiben, wenn Selbsterkenntnis das Thema ist. Hier ist aber eindeutige Aussage des Textes, dass nicht Abraham etwas lernen soll (obwohl er das natürlich macht, wir lernen alle durch unsere Erfahrungen), sondern Gott.

Zum Zweiten: Es wird eine Zusatzannahme eingeführt, nämlich die einer speziellen Beziehung Gottes zur Zeitschiene, die dann in Verbindung mit Gottes Vorauswissen stehen soll. Diese Zusatzannahme wird nirgendwo in der Bibel ausdrücklich benannt. Die Stelle, die nach dem Verständnis ihrer Anhänger dieser Annahme nahe kommt (2. Petrusbrief 3,8) will nichts über Gottes absolut feststehendes Vorauswissen aussagen. Nur wenige Sätze später nämlich schreibt Petrus, dass selbst der Termin des Tages Gottes am Ende der Geschichte, wie wir sie kennen, nicht unverrückbar fest steht! Er ist unter anderen Faktoren auch vom menschlichen Verhalten abhängig (Siehe 2. Petrusbrief 3,12).

Das Problem bei Zusatzannahme ist: man kann damit gewagte Ideen begründen. Die Kirche der Mormonen z.B. lebt von der Zusatzannahme, dass Jesus nach seinem Wirken im Nahen Osten auch in Amerika war. Auch unter christlichen Kirchen ist es ein beliebtes Spiel, eigene Doktrin durch angenommene Zusatzannahmen zu festigen, so z.B. in der katholischen Kirche: Die Bibel spricht über “leibliche Brüder Jesu”? Das kann und darf nach katholischer Doktrin nicht sein, da Maria auf ewig unbefleckte Jungfrau ist. Demnach können die Brüder Jesus höchstens seine Halbbrüder gewesen sein. Wer weiß, ob Josef nicht noch eine zweite Frau hatte? So geht eine uralte Zusatzannahme, um kirchliche Doktrin zu stützen.

Ich liebe die Bibel als Wort Gottes und möchte seine Aussagen zuerst mal so verstehen, wie sie offensichtlich gemeint sind. Wenn ich damit nicht weiterkomme, dann konsultiere ich solche Forscher und Theologen, die an der Frage arbeiten, wie die damaligen Empfänger das Geschriebene verstanden haben. Erst an dritter Stelle kommen Glaubensgrundsätze und kirchliche Festlegungen, die unter Umständen beim Verständnis einer rätselhaften Passage helfen können. Die oben zitierte Abrahamsprüfung und ihr Ausgang ist offensichtlich und klar in ihrer Aussage. Auch kein Textwissenschaftler stellt sich hin und behauptet, die Menschen damals hätten diese Passage anders verstanden als das, was offensichtlich da steht. Deshalb kann man getrost darauf vertrauen, dass es genauso war: Gott hat unseren Glaubensvater Abraham einer Prüfung unterzogen, deren Ausgang für alle Beteiligten – auch für Gott – völlig offen war.

Die Aussage Gottes “…nun weiß ich…” ist so gemeint, wie sie geschrieben wurde. Deshalb können wir darauf bauen, dass wir mit Gott unter einem offenen Himmel leben. Unter diesem offenen Himmel hat Gott vieles geplant, einiges vorherbestimmt, gute Werke vorbereitet und Berufungen festgelegt – aber es gibt unter diesem Himmel eben auch einige von Gott geschaffene Akteure mit wirklich freiem Willen, die selbst Gott hin und wieder überraschen. Seine Allmacht und Souveränität besteht demnach darin, durch die Stürme der Zeit hindurch seine Ziele zu verfolgen und seine Vorhaben zu einem guten Ende zu bringen.

Diese Sicht muss keine Bibelverse zurechtbiegen, damit es theologisch oder ideologisch “passt”, sondern kann die Bibel an allen Stellen als das nehmen, was es ist: Wort Gottes. In diesen Sinne Wünsche ich Dir und Euch viel Freude und Inspiration bei der Full-Version von Teil 12.

Liebe Grüße

Bernd

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