Ein Blick voraus

Letzte Woche haben wir einen Krieg verloren. Wir, die Deutschen, noch mehr die Amerikaner – im Grunde die ganze westliche Welt. Der Gründe waren vielfältig: Fehleinschätzungen, Schlendrian und der Mangel an angewandten Werten: Wir haben das korrupteste Land der Welt entwickelt, unterstützt und gesponsert (lt. Transparency International). Doch der vielleicht größte Fehler geschieht direkt jetzt, vor unseren Augen: Wir verschweigen die Tatsache, dass wir einen Krieg verloren haben – und nehmen uns so die Chance, uns zu hinterfragen und für die Zukunft besser aufzustellen. Wo sind die Flaggen auf Halbmast ob dieser Tragödie? Ein nationaler Tag der Trauer? Wo sind die Talkshows, in denen darüber diskutiert wird, wie im Krieg siegreiche Nationen aufgestellt sind – und wo der Unterscheid zu uns liegt?

Weil wir das Offensichtliche verschweigen, sind wir auch blind für die Konsequenzen – und die werden gravierend sein. Dabei geht es nicht um die afghanische Volkswirtschaft, die international wenig Bedeutung hat. Aber es gibt andere Konsequenzen aus dieser Niederlage, die uns sehr schmerzhaft treffen werden, ich nenne hier nur vier und lasse mich gerne in einem bis drei Jahren korrigieren, wenn ich falsch lag – aber überlege gerne selbst:

Vier Konsequenzen aus dem verlorenen Afghanistan-Krieg:

  1. Die Offensichtlichste: Millionen von Flüchtlingen werden Richtung Norden und Westen unterwegs sein, und die westlichen Volkswirtschaften, von Covid 19 schon arg gebeutelt, stark fordern. Unten ihren wird es auch gewaltbereite Extremisten und Kriminelle geben, deren Aktivitäten dann weiter an unseren Nerven und Kräften zehren werden.
  2. Die offen demonstrierte Schwäche unseres Militärs und unsere mangelnde Fähigkeit und Willigkeit es einzusetzen einerseits und die zur Schau gestellte Schwäche von Präsident Biden andrerseits wird geopolitische Rivalen ermutigen, ihre Muskeln spielen zu lassen. Das gilt zuerst für China und ist bereits jetzt in Ansätzen sichtbar. So schreibt die Zeitung der Kommunistischen Partei Chinas (Global Times) zu den neuesten Entwicklungen in Afghanistan: “Is this some kind of omen of Taiwan’s future fate?” Übersetzt: “Ist das ein Omen für das künftige Schicksal Taiwans?” Auch vor dem Hintergrund der schleichenden absorbierung Hongkongs und dem westlichen Mangel an Widerstand dagegen ist China ermutigt, seine Ziele freimütiger zu verfolgen. Das gilt noch mehr, wenn deutlich werden sollte, dass Biden in den USA den Rückhalt verliert und absehbar wird, dass schon 2024 ein robusterer Republikaner ins Weiße Haus einziehen könnte. Dann wird China das verbleibende Zeitfenster nutzen wollen. Wenn China sich eine Taiwanesische Insel oder zwei (z.B. Chinmen) gewaltsam einverleibt, wird Joe Biden das vielleicht kaum bemerken (wollen), aber die internationalen Märkte schon – mit gewaltigen Auswirkungen auf unsere Volkswirtschaft.
  3. Was für China gilt, gilt noch mehr für Russland. Das Verhalten der westlichen Welt wird Russland ermutigen, seine Interessen in der Ukraine noch intensiver zu verfolgen. Auch in Richtung baltische Staaten. Dort wird Russland zumindest seinen Cyber-Krieg intensivieren um diese Länder zu destabilisieren, damit es sich zum richtigen Zeitpunkt als “Retter” der russischsprachigen Minderheit dort aufführen kann, um seinen Machtbereich weiter auszudehnen. Was fast noch schlimmer wäre: Es könnte soweit kommen, dass Russland überhaupt nichts machen muss, sondern dass Anrainerstaaten aufgrund der Geschehnisse in Afghanistan von sich aus zu dem Schluss kommen: “Lieber einen Deal mit Putin eingehen als der Nato oder Biden zu vertrauen.”
  4. Der Krieg in Afghanistan begann ja, weil die Tailban internationalen Terrorismus gesponsert haben. Das Land wurde zur schützenden Oase für Al-Qaida. Trainingscamps an vielen Stellen und ungestörtes Rekrutieren von Nachwuchs im Land machte am Ende eine Operation so komplex und tödlich wie 9/11 möglich. Wie lange wird es dauern, bis die terroristische Infrastruktur wieder steht? Bein letzten Mal waren es vier Jahre – doch jetzt wird das schneller gehen, denn nun ist eine Gewinnermannschaft am Werk – und wer möchte da nicht dabei sein, besonders, wenn man sonst nichts Besseres vorhat?

Das sind vier Entwicklungen, die immense Auswirkungen auf unsere Zukunft haben werden. Auf unsere Politik, Wirtschaft, unser Finanzsystem und dann auch uns unser aller Leben. Und wir stehen mit heruntergelassenen Hosen da, und wollen die offensichtlichen Fakten von heute nichtmal richtig wahrhaben. Wahrscheinlich werden wir als westliche Welt auch weiterhin die Augen verschießen.

Doch wer bereit ist, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen, der kann für sich und seine Familie überlegen: Welches sind wohl die richtigen Investitionsentscheidungen vor diesem Hintergrund? Wie sollten wir uns aufstellen? Von wem machen wir uns noch abhängig bzw. von was streben wir eher Unabhängigkeit an? Was bedeutet das für die anstehende Bundestagswahl und meine persönliche Wahlentscheidung? Welche Ausbildung sollte ich meinen Kindern vor solchen Szenarien empfehlen? Es ist gut, die Welt mit offenen Augen zu sehen, ohne gleich in Verzweiflung zu geraten – sondern immer mit dem Ansatz: Wie positioniere ich mich dazu- und die, für die ich (mit-) verantwortlich bin. Ich jedenfalls denke so – hab dabei (noch) keine einfache Lösung gefunden, bin aber sensibilisiert. Nicht sorgenvoll, aber aufmerksam. Nicht frustriert, auch nicht hoffnungslos, aber halt Auge in Auge mit der ungeschminkten Wirklichkeit.

So. Und jetzt setze ich mich an die Full-Version der neuesten Folge des Genesis-Projekts. Wie wohltuend ist es, in ewige Wahrheit einzutauchen, die durch Jahrtausende getragen hat – und auch weitertragen wird 🙂

Lieben Gruß

Bernd

P.S.: Einige Einsichten aus diesem Beitrag kommen ursprünglich von Kevin A. Hassett (früherer Vorsitzender des “Council of Economic Advisers”) und Martin van Creveld, denen ich für einige Augenöffner sehr dankbar bin.

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