Corona und Familie

Wir haben in den letzten Wochen den unglaublich reichen Schatz unseres Familienlebens neu entdeckt. Nicht dass wir vorher keines hatten, jetzt wurde der Wert dieser starken Gemeinschaft einfach mal deutlich! Vielleicht so, wie wenn jemand einen wertvollen Diamanten besitzt, der gut behütet und auch wertgeschätzt im Tresor liegt und der dann bei besonderen Gelegenheiten angelegt wird – aber dann eines Tages setzt sich jemand mit einer Lupe hin und betrachtet ihn staunend Facette für Facette. So ging es uns.

Nun möchte ich niemand traurig machen, der nicht in solch einer starken, wohltuenden und stützenden Gemeinschaft leben kann, aber ich möchte gerne die Gelegenheit nutzen, die herauszufordern, die es betrifft, einmal über Familienplanung nachdenken.

Seit den siebziger Jahren bewegt sich die Geburtenrate in Deutschland um 1,5, d.h. wir liegen jetzt seit 50 Jahren unter der Reproduktionsrate, denn die beginnt erst bei 2. Erst wenn jede Frau durchschnittlich mindestens zwei Kinder bekommt, bleiben wir gleich viele Menschen.

Weil wir nun schon seit fast zwei Generationen in dieser Situation leben, können wir die Auswirkungen kaum noch wahrnehmen. Es kann aber zum Nachdenken anregen, wenn man sich die Konsequenzen der niedrigen Geburtenrate auf die Gesellschaft vor Augen führt:

Viele sehen ja vor allem Vorteile darin – besonders umweltbewusste Menschen schätzen geringere Geburtenraten als entlastend für die Umwelt: Weniger Lebensmittel müssen produziert werden, es wird weniger Energie benötigt und weniger Freizeitaktivitäten belasten die Natur. Also bedeuten weniger Kinder vor allem Vorteile? Das ist ein Trugschluss – das Gegenteil ist richtig: Geringe Geburtenraten sind schädlich. Hier ein paar der Gründe:

Atomisierung der Gesellschaft

Geringe Geburtenraten führen dazu, dass Kinder mit weniger oder keinen Geschwistern aufwachsen, weniger oder keinen Nichten und Neffen, weniger oder keinen Tanten und Onkel. Also ohne Verwandschaftsnetzwerk. Die wenigen Kinder kennen weniger Menschen, mit denen sie im Sinne einer Verpflichtung zurechtkommen – oder netzwerken – müssen. Das macht es schwerer, ein Gefühl von Sicherheit und Selbstvertrauen in der Welt zu entwickeln. In kinderreichen Gesellschaften mit entsprechend vielen Verwandten können junge Leute je nach persönlichem Sicherheitsbedürfnis und Selbstvertrauen wählen, wie sie sich einbinden lassen in vielfältige Verflechtungen der Familie – oder ob sie lieber eigene Wege gehen möchten. Diese Überlegungen entfallen in weniger fruchtbaren Gesellschaften. Das ist ein Mangel an Wahlmöglichkeit und Freiheit der sich auf die Persönlichkeitsentwicklung auswirkt.

Freier Charakter der Gesellschaft

Starke Familien bilden einen gesunden Gegenpol zum paternalistischen Staat (bei uns in D mehr maternalistisch :-). Familienverbände bilden ein kraftvolles Bollwerk gegen soziale Gleichschaltung – ob diese von den Medien befördert wird oder durch die Politik forciert. An einem Beispiel deutlich gemacht: Suggeriert ein gesellschaftliches Klima jungen Müttern, es sei gut und richtig, ihre Kleinkinder möglichst früh in der Krippe abzugeben, entsteht Druck, den manche Frau schlecht aushalten kann. In einem Familienverbund, zu dessen Kultur es gehört, dass Frau sich auch glücklich verwirklichen kann, wenn sie ihre Kinder selbst großzieht, ohne dass diesen ein Schaden entsteht, entfaltet solch gesellschaftlicher Druck wenig Wirkung. Auf diese Weise erhalten starke Familienstrukturen die Freiheit der Wahl – und damit die Freiheit unserer Gesellschaft. Ironischerweise erleben wir in unserem Land eher die pervertierte Version dieses Aspekts – nämlich im Clan(un)wesen unserer Großstädte.

Zukunftsvertrauen, Paranoia, Misstrauen und Verschwörungsgeschichten

Kinderreichtum ist ein starkes Bekenntnis zur Zukunft und eine Investition der Hoffnung. Wenn in einer Gesellschaft das Gefühl wächst, dass kam jemand es für lohnenswert hält, in die Zukunft zu investieren, schwindet Vertrauen und Misstrauen nimmt zu. Andere oder randständige Teile der Gesellschaft werden misstrauisch beäugt. Die geburtenschwächeren lutherischen Preußen schauten vor 80 Jahren voller Paranoia auf geburtenstärkere Juden und Polen – mit allen furchtbaren Konsequenzen, die sich daraus entwickelt haben. Weniger dramatisch betrachtet ist es jedoch nach einigen Forschern tatsächlich so, dass fruchtbare Gesellschaften Zuwanderung durch Fremde als Bereicherung und Verstärkung betrachten, während Gesellschaften mit geringerer Fruchtbarkeit in Fremden eher die Bedrohung oder die Verdrängung sehen (z.B. nach Christopher Caldwell).

Weniger Unterstützung

Weniger Geschwister, weniger Tanten und Onkel bedeuten weniger Unterstützung der jungen Eltern. Dieser Effekt verstärkt sich bei immer späterem Gebäralter zusätzlich: Wer erst ein Kind bekommt, wenn der 40. Geburtstag schon in Sicht ist, hat in der Regel selbst Eltern, die recht alt sind und wenig beitragen werden. Der gegenteilige Effekt tritt ein: Statt beizutragen und zu entlasten fordern sie die Aufmerksamkeit ein, die in anderen Gesellschaften der heranwachsenden Generation zuteil wird.

Das sind einige der langfristigen Folgen ausgedünnter Familienbäume durch geringe Geburtenraten. Sie ergeben sich schleichend und werden als Problem nur schwer erkannt. Am Ende bleiben mehr oder weniger nützliche Einzelmenschen, die in engeren oder weiteren Bekanntschaften leben. Ohne Bewußtsein dafür, dass sie das wertvolle Erbe einer Familienkultur weitergeben könnten. Ohne Bewußtsein einer gewachsenen Rolle und ohne einen inneren Kompass von Werten und Zugehörigkeit.

Mir ist keine Gesellschaft bekannt, die es als Ganzes geschafft hat, von einer geringen Fortpflanzungsrate auf eine Höhere zu kommen. Glücklicherweise ist das aber keine Maßgabe für den Einzelnen! Jedes Paar, dem es gegeben ist, sich gegenseitig Kinderwünsche zu erfüllen, kann den eigenen Familienbaum wieder zum Ausschlagen, Grünen und Fruchttagen bringen. Und für sich und seine Kinder in der eigenen Familie ein Klima schaffen, das fröhlich vibriert vor Hoffnung und Zukunft – mit heranwachsenden Persönlichkeiten, die gleichzeitig stabil verwurzelt sind – stabil genug, um später selbst ihre eigene Familie gründen zu können. Nicht weil sie dazu verpflichtet sind – sondern weil sie dieses Lebensmodell als zutiefst attraktiv und befreiend kennengelernt haben. Nochmal auf den Punkt gebracht: Einzelmenschen in einer atomisierten Gesellschaft in der Vater Staat vieles regelt, was eine reiche Familienstruktur regeln könnte haben vielleicht die Freiheit der Beliebigkeit – aber was ist das gegen eine echte Freiheit der Wahl von gut verwurzelten Persönlichkeiten mit klaren Rollenverständnissen, die sich in sicherem Rahmen entwickeln konnten? Wir sind als Familie zur Zeit mitten in diesem Prozess – und genießen bei allen damit verbundenen Herausforderungen jeden Tag:

…und an manchen Tagen noch ein bisschen mehr…

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