Wenn jemand gehen möchte…

Was sagt das Brexit-Elend eigentlich über das Wesen und den Charakter der EU aus? Ich finde es erstaunlich, dass dies praktisch nicht diskutiert wird. Hier ist Raum dafür.

Ich bin evangelischer Pastor in einer Freikirche. Das hat mehr Parallelen mit der EU, als man auf den ersten Blick annehmen würde. Aus der Innensicht kann ich sagen: Freikirchler verlangen sich selbst und anderen eine Menge ab. Gemeindliches Engagement, finanzielle Hingabe, ein hoher Grad von Identifikation mit dem “Werk des Herrn” wie es im Namen der betreffenden Kirche betrieben wird. Selbstverständlich sind Sonntags alle da, die wirklich dazugehören. Bei älteren Gemeindegliedern gehört es oft zum guten Ton, sich beim Pastor abzumelden, wenn sie ausnahmsweise nicht dabei sein können.

Jetzt wird es sensibel: Was unterscheidet solch eine Freikirche von einer Sekte? Unter anderem die Haltung den Menschen gegenüber, die sie verlassen wollen: Nein, das sind keine Verräter. Nein, die müssen ihren Austritt nicht aufwändig begründen. Nein, sie sind dann keine Ausgestossenen. Und Nachzahlungen werden nicht verlangt – auch dann nicht, wenn der Austretende erst letzte Woche noch ein teures Immobilienprojekt mitbeschlossen hat, das die Gemeinde über Jahrzehnte belasten wird. Es wird auch weder gewarnt von solchen Menschen, noch werden finstere Vorahnungen darüber verbreitet, was dieser Schritt wohl für spätere Auswirkungen haben wird. Und es werden keine Drohkulissen für andere aufgebaut, die auch mit dem Gedanken spielen. Es ist dann keine Sekte, wenn Austrittswillige in einer segnenden Haltung würdig verabschiedet werden. Und wenn solch eine Kirche ehrlich dazu steht, dass der neue, andere Weg, den Austrittswillige einschlagen, aus Gründen dran ist, die intern auf Grund der Begeisterung fürs eigene “Gemeindeprojekt” zwar wenig nachvollziehbar sind, aber die Entscheidung dennoch voll respektiert wird,

Neben dem Evangelium, das uns mit anderen Kirchen verbindet, sind die o.g. Dinge einer der “Lackmustests” in Sachen Sekte.

Die EU ist auch ein Herzensprojekt. Und Scheidung tut weh. Leider wirkt einiges im Umgang mit den Briten ganz schön sektiererisch: Immer mehr wird klar, dass der harte Umgang mit dem Brexit andere abschrecken soll, es auch zu versuchen. Statt die Briten in Würde ziehen zu lassen, werden möglichst viele Hürden aufgebaut. Während Flüchtlinge aus aller Welt einfach rein dürfen, wird in Nordirland mit der Androhung einer befestigten Außengrenze gespielt. Wie doppelbödig ist das denn? Sollen hier Mitglieder mit der Peitsche bei der Stange gehalten werden?

Wie gut würde es der EU zu Gesicht stehen, sich selbst nicht als Gängelverein für Nationen zu generieren, sondern als Ort der Freiheit und des gemeinsamen Wohlstands. Wie erfolgreich könnte dieses Projekt sein, wenn jedem Mitglied bewusst wäre, dass der Mehrwert einer Mitgliedschaft alle damit verbundenen Mühen weit übersteigt! Wer gehen will, darf seinen Weg und sein Glück gerne selbst suchen. Leider muten solche Gedanken im Brexit-Rummel utopisch an – und satt dem Geruch der Freiheit steigt ein gewisser europäischer Sektengeruch auf.

Darf ich zum Abschluss noch etwas schwärmen? Wie schön, dass es Gemeinde gibt! Menschen, die gemeinsam unterwegs sind, um Abenteuer mit Gott zu erleben. In großer Freiheit. Mit Respekt füreinander. Auch für die Menschen, die andere Wege für sich entdeckt haben. Der Mehrwert von Christsein in einer Gemeinde ist so eindeutig, dass es NICHTS kostet, eine maximal segnende Haltung denen gegenüber einzunehmen, die gehen möchten! Freie Menschen leben Christsein gemeinsam, werden heil und stark. Nicht Gleichmacherei ist gemeint – vielmehr darf in einem gesunden Klima des Wachstums jeder zur gottgeplanten genialst-möglichen Ausgabe seiner selbst heranwachsen. Zur eigenen Freude und zu Gottes Ehre. Das macht für mich Gemeinde aus!

Mit einem wild pochenden Finger aus den UKSH verabschiedet Euch in die Nacht

Euer Bernd Kollmann

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